Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorgesetzter. Distanz. Berührung, körperlich. Bildungsniveau. Bild-Leserin. Attraktivität. Ablehnung, erkennbar. Glaubwürdigkeit. Verhältnismäßigkeit. Unkündbar. Umgangsstil, burschikos. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. körperliche Distanz

 

Leitsatz (amtlich)

1) Nicht nur das körperliche Berühren der Brust ist geeignet, eine sexuelle Belästigung darzustellen. Auch wer am Arbeitsplatz die allgemein übliche minimale körperliche Distanz zu einem Mitarbeiter/ einer Mitarbeiterin regelmäßig nicht wahrt, sondern diese(n) gezielt unnötig und wiederholt anfasst bzw. berührt, teilweise mit dem Bemerken „stell dich nicht so an”, oder gar sich mit seinem Körper an den/die Mitarbeiter(in) herandrängelt, obwohl all diese Kontakte erkennbar nicht erwünscht sind, begeht eine sexuelle Belästigung.

4) Für die Bewertung einer Handlung als sexuelle Belästigung kommt es nicht auf eine etwaige „Attraktivität” der Betroffenen an. Eine sexuelle Belästigung erhält nicht dadurch weniger Gewicht, dass ein am Verfahren Beteiligter die Betroffene nicht attraktiv und anziehend findet und deshalb deren Empfindung einer Handlung als sexuelle Anmache für abwegig hält.

3) Legt ein Vorgesetzter einer ihm unterstellten Arbeitnehmerin unerwartet und unaufgefordert im Dienst unter vier Augen pornographische Bilder mit der Aufforderung vor, solche auch von ihr fertigen zu können, was sofort zurückgewiesen wird, und ergänzt er seine Äußerungen gleichwohl dahin, die Fotos sehe ja keiner, greift er unerwünscht in die Intimsphäre dieser Arbeitnehmerin ein.

4) Für die Frage der Bewertung einer Handlung als sexuelle Belästigung ist das Bildungsniveau der betroffenen Person unbeachtlich. Ebenso ist nicht von Bedeutung, ob die Arbeitnehmerin BILD-Leserin ist und manchmal einen burschikosen Umgangsstil zeigt.

 

Normenkette

BGB § 626; BAT §§ 53-55; BSchG § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Elmshorn (Urteil vom 08.02.2006; Aktenzeichen 4 Ca 1086 /05)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 08.02.2006 – 4 Ca 1086 b/05 – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier fristloser, hilfsweise fristgemäßer Kündigungen der Beklagten mit dem Vorwurf sexueller Belästigung, über ein Weiterbeschäftigungsbegehren des Klägers sowie einen Auflösungsantrag der Beklagten.

Der Kläger wurde am … 1952 geboren und ist seit dem 01.01.1973, mithin seit 33 Jahren bei der Beklagten beschäftigt. Er ist geschieden und 3 Kindern gegenüber unterhaltspflichtig. Der Kläger erhielt für seine Tätigkeit als kommissarischer Fachbereichsleiter Fachbereich „Öffentliche Sicherheit und Soziales” zuletzt durchschnittlich 4.200,– EUR brutto monatlich. Auf das Arbeitsverhältnis sind die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst anzuwenden. Danach ist der Kläger ordentlich unkündbar.

Am 18.05.2005 begab sich die seit 1972 bei der Stadt S… beschäftigte und erstinstanzlich vernommene Zeugin S. zum Personalrat der Stadt S. und bezichtigte den Kläger der sexuellen Belästigung. Der Personalrat fertigte hierüber einen Vermerk, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Anlage B1 – Bl. 22 d. A.), der dem Bürgermeister am 19.05.2005 vorgelegt wurde. Dort heißt es u. a.:

„Gegen den ausdrücklichen Willen von Frau S. wurde diese durch den FB-Leiter

  1. körperlich berührt (Oberkörper, Busen),
  2. wurde durch den FB-Leiter gezielt versucht, mit ihr über sexuelle Themen anzüglich zu sprechen,
  3. es wurden vom FB-Leiter pornographische Fotos der derzeitigen Lebensgefährtin des FB-Leiters vorgelegt. In diesem Zusammenhang wurde Frau S. gefragt, ob er auch von ihr solche Fotos anfertigen soll,
  4. der FB-Leiter hat über sexuelle Abenteuer mit anderen Frauen aus dem Hause gesprochen.”

Am 24.05.2005 hörte die Beklagte den Kläger zu diesen Vorwürfen u. a. in Anwesenheit des Personalrates an (Bl. 23 d. A.). Der Kläger wies die Vorwürfe zurück. Daraufhin befragte die Beklagte noch am gleichen Tage Frau S. in Anwesenheit des Personalrates erneut. Diese hielt an ihren Vorwürfen fest. Die Beklagte hörte sodann den Personalrat zur außerordentlichen Kündigung an. Dieser stimmte umgehend zu (Bl. 24 d. A.). Der Kläger wurde am 25.05.2005 freigestellt. Gleichzeitig wurde ihm Hausverbot erteilt.

Mit Schreiben vom 30.05.2005 wurde dann das Arbeitsverhältnis außerordentlich, vorsorglich mit Auslauffrist zum nächstmöglichen Termin gekündigt (Anlage K2 – Bl. 8 d. A.). Hiergegen erhob der Kläger am 03.06.2005 Kündigungsschutzklage.

Am 20.06.2005 begab sich die zweitinstanzlich vernommene Zeugin P., seit über 20 Jahren bei der Beklagten beschäftigt, zum Personalrat und bezichtigte den Kläger ebenfalls der sexuellen Belästigung ihr gegenüber. Zuletzt sei dieses im Mai 2005 geschehen. Auf den entsprechenden Gesprächsvermerk wird Bezug genommen (Anlage B9 – Bl. 75 d. A.). Daraufhin führte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 30.06.2005 getrennt...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge