Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Urteil vom 24.06.1998; Aktenzeichen 4 Ca 675 b/98)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 24.06.1998 geändert.

Die Klage wird mit der Feststellung abgewiesen, daß zwischen den Parteien bis zum 30.08.1996 ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis mit dem 30.08.1996 beendet worden ist oder bis zum 31.03.1999 ruht.

Der am 03.01.1946 geborene Kläger nahm am 01.08.1975 seine Tätigkeit als 1. Solo-Fagottist im Philharmonischen Orchester L., dessen Rechtsträger nach Betriebsübergang von der Hansestadt L. seit dem 01.01.1998 die Beklagte ist, auf. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung und kraft arbeitsvertraglicher Inbezugnahme der Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern vom 01.07.1971 (TVK) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Mit Bescheid vom 06.03.1996 bewilligte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) dem Kläger eine befristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 01.04.1996 bis 31.03.1999. Daraufhin beantragte die Rechtsvorgängerin der Beklagten bei der Hauptfürsorgestelle im Ministerium für Arbeit, Soziales, Jugend und Gesundheit des Landes Schleswig-Holstein die Zustimmung zur beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses; diese erteilte mit Bescheid vom 27.08.1996 die Zustimmung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.08.1996.

Wegen des Sach- und Streitstandes in I. Instanz im übrigen wird auf das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 24.06.1998 nebst dessen Verweisungen Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsbegehren des Klägers mit der Begründung entsprochen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Regelung in § 45 Abs. 1 Satz 1 TVK nicht beendet worden sei. Diese Norm sei wegen Verstoßes gegen zwingende kündigungsrechtliche Bestimmungen – §§ 1 KSchG, 626 BGB – unwirksam, soweit auch befristete Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsunfähigkeitsrenten betroffen seien. Diese Vorschriften, die grundsätzlich zwingend und unabdingbar seien, gewährleisteten dem Arbeitnehmer, daß eine individuelle Prüfung des Kündigungsgrundes, bezogen auf seine Person und Umstände, im Falle einer Kündigung erfolgten. Nach der Rechtssprechung des BAG seien an die sachliche Rechtfertigung eines den Kündigungsschutz ausschaltenden Auflösungstatbestandes in einer Tarifnorm (durch Gewährung einer Rente) im Hinblick auf diesen Kündigungsschutz strenge Anforderungen zu stellen. Eine Vereinbarung der Tarifnorm mit dem individuellen Kündigungsschutz des Klägers sei nicht zu prüfen, sondern die generelle Wirksamkeit der Tarifnorm. Diese Prüfung müsse wegen des völligen Ausschlusses des Kündigungsschutzgesetzes ohne Differenzierung nach Fallgestaltungen und ohne dafür ein Äquivalent zu gewähren, zur Annahme der Unwirksamkeit führen.

Gegen dieses ihr am 26.08. zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21.09. Berufung eingelegt und diese am 08.10.1998 begründet.

Die Beklagte trägt vor,

der Beendigungstatbestand in § 45 Abs. 1 Satz 1 TVG sei sachlich begründet. Eine Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes sei nicht ersichtlich. Ebenso bewege sich die streitgegenständliche Norm innerhalb der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien.

Die Beklagte beantragt,

  1. das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 24.06.1998 – 4 Ca 675 b/98 – wird abgeändert. Es wird nach den Schlußanträgen I. Instanz erkannt.
  2. Der Berufungsbeklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Kosten der Beklagten/Berufungsklägerin aufzuerlegen.

Er trägt vor,

die streitige Regelung in § 45 Abs. 1 Satz 1 TVG verstoße gegen zwingende kündigungsrechtliche Bestimmungen und sei deshalb unwirksam, soweit auch befristete Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsunfähigkeitsrenten betroffen seien.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens im Berufungsrechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorbereitend gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen. Ergänzend wird auf den Akteninhalt verwiesen. Die Sache 1b Ca 2360/95/2 Sa 134/96/7 AZR 471/96 hat vorgelegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Entgegen dem angefochtenen Urteil ist die Berufungskammer der Auffassung, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien mit dem 30.08.1996 gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 TVK beendet worden ist und nicht bis zum 31.03.1999 ruht. Die Regelung in § 45 Abs. 1 Satz 1 TVK nicht wegen Verstoßes gegen zwingende kündigungsrechtliche Bestimmungen – § 1 KSchG, § 626 BGB – unwirksam ist, soweit auch befristete Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsunfähigkeitsrenten betroffen sind. Dafür, daß das Arbeitsverhältnis unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 1 TVK endet, besteht, auch wenn strenge Anforderungen beachtet werden, ein sachlicher Grund, nämlich die Wahrung der Homogenität des Orchesterklanges.

§ 45 TVK hat folge...

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