Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame Befristung einer Arbeitszeiterhöhung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein im Formulararbeitsvertrag vereinbartes Schriftformerfordernis für Vertragsänderungen führt nicht zur Nichtigkeit mündlich abgeschlossener Vertragsänderungen. Dies folgt aus dem Grundsatz des Vorrangs individueller Vertragsabreden gemäß § 305 b BGB. Eine sog. doppelte Schriftformklausel ist in der Regel irreführend und benachteiligt den Vertragspartner deshalb unangemessen i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB.

2. Eine vom Arbeitgeber vorgegebene Arbeitszeiterhöhung unterliegt der Inhalts- und Angemessenheitskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Sofern sich der Arbeitgeber auf einen vorübergehenden Mehrbedarf beruft, muss er die von ihm getroffene Prognosenentscheidung und den vorübergehenden Mehrbedarf plausibel darlegen. Sofern er kein plausibles betriebliches Interesse an einer nur vorübergehenden Arbeitszeiterhöhung darlegen kann, benachteiligt die Befristung der Arbeitszeiterhöhung den Arbeitnehmer unangemessen und ist damit unwirksam.

 

Normenkette

BGB § 125 Sätze 1-2, §§ 242, 305 b, 307 Abs. 1 S. 1, §§ 315, 611 Abs. 1; TzBfG § 14 Abs. 1, § 17 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Neumünster (Entscheidung vom 25.10.2012; Aktenzeichen 2 Ca 620 a/12)

 

Tenor

  • 1.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 25.10.2012, Az.: 2 Ca 620 a/12, abgeändert und

    festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 31. März 2012 hinaus mit einem Vollzeitbeschäftigungsumfang von zurzeit wöchentlich 37,5 Stunden besteht.

  • 2.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz.

  • 3.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob eine Arbeitszeitvereinbarung wirksam befristet wurde.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 17.10.2007 als Operator in der Flechterei beschäftigt. Kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme finden auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge der Chemischen Industrie Anwendung. Der Kläger erhält Vergütung nach Entgeltgruppe E3. Das Arbeitsverhältnis wurde mit Arbeitsvertrag vom 15.10.2007 (Bl. 61 ff. d. A) zunächst bis zum 20.09.2008 sachgrundlos befristet und sodann noch dreimal bis zum 30.12.2010 sachgrundlos verlängert. Mit weiterem Arbeitsvertrag vom 11.11.2010 (künftig ArbV, Bl. 67 ff. d. A.) vereinbarten die Parteien die befristete Einstellung des Klägers ab dem 31.12.2010 bis zum 31.03.2011 für die Dauer des Projektes "Optimierung Inline Coating Pliabilizing". Dieser Vertrag wurde noch zweimal bis zum 31.12.2011 verlängert. In den zugrundeliegenden Arbeitsverträgen war jeweils eine Wochenarbeitszeit von 30 Stunden vereinbart. Zudem enthielt der Arbeitsvertrag vom 11.11.2010 - ebenso wie bereits der vom 15.10.2007 - u. a. folgende Schlussbestimmung:

"§ 9 - Schlussbestimmung

...

(2) Vereinbarungen außerhalb dieses Vertrages wurden nicht getroffen. Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Dies gilt auch für ein Abweichen vom Schriftformerfordernis."

Gegen die letzte Befristung bis zum 31.12.2011 wandte sich der Kläger mit einer Entfristungsklage, ArbG Neumünster: Az. 3 Ca 1237 a/11. Noch während des Laufs der Entfristungsklage vereinbarten die Parteien für die Zeit vom 01.08.2011 bis zum 31.12.2011 die Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden auf 37,5 Stunden zu einem Tarifentgelt von € 2.416,00 brutto (Bl. 33 d. A.). Nach Fristablauf wurde der Kläger zunächst nicht weiter beschäftigt. Mit Urteil vom 01.02.2012 gab das Arbeitsgericht (3 Ca 1237 a/11) der Entfristungsklage statt und verurteilte die Beklagte, "den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen als Operator für den Geschäftsbereich Operations am Standort J. & J. M. GmbH in N. weiter zu beschäftigen". Jenes Urteil ist mittlerweile rechtskräftig.

Im Einsatzbereich des Klägers, der Fadenflechterei, wird im Drei-Schicht-System gearbeitet, das bei einer 30-Stundenwoche wie folgt aussieht:

  • -

    Tagschicht: 6:45 Uhr bis 15:45 Uhr

  • -

    Spätschicht: 15:45 Uhr bis 22:00 Uhr

  • -

    Nachtschicht: 22:00 Uhr bis 6:45 Uhr.

In Zeiten der Arbeitszeiterhöhung auf 37,5 Stunden wird in der Spätschicht jeweils von 13:25 Uhr bis 22:00 Uhr gearbeitet.

Nach dem obsiegenden Urteil in der Entfristungsklage (3 Ca 1237 a/11) erschien der Kläger am 02.02.2012 zusammen mit seiner Kollegin K., die ebenfalls erfolgreich eine Entfristungsklage geführt hatte (ArbG Neumünster, Urt. v. 01.02.2012 - 3 Ca 1190 a/11), gegen 13:00 Uhr bei der Beklagten zur Arbeitsaufnahme. Der vorgesetzte Linienleiter F. teilte beiden nach vorheriger telefonischer Rücksprache mit der Personalabteilung mit, sie könnten direkt wieder ab 13:25 Uhr in der folgenden 8-Stundenspätschicht mit der Arbeit beginnen. Ob der Zeuge F. den Kläger und dessen Kollegin während dieses Gesprächs darauf hinwies, dass es sich um eine zeitlich begrenzte Arbeitszeiterhöhung auf 37,5 Stunden bis Ende März 2012 handele, ist zwischen de...

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