Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung. Abmahnung. Entbehrlichkeit. Pflichtverletzung. Umgehung einer Betriebsvereinbarung. Abmahnung bei Fehlen einer klaren Anweisung

 

Leitsatz (amtlich)

Ist die Umgehung einer Betriebsvereinbarung infolge des Fehlens klarer betrieblicher Anweisungen mit an sich zulässigen Mitteln möglich, bedarf es vor Ausspruch einer Kündigung in der Regel einer einschlägigen Abmahnung

 

Normenkette

BGB § 626

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Urteil vom 23.05.2007; Aktenzeichen 5 Ca 242 (4)/07)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 23.05.2007 – 5 Ca 242(4)/07 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung mit dem Vorwurf, die Klägerin habe eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Gewährung von Sachbezügen gezielt unterlaufen.

Die Klägerin ist am ….1982 geboren und seit dem 01.09.1999 bei der Beklagten als Kauffrau im Einzelhandel tätig. Sie erhielt zuletzt durchschnittlich 1.700,00 EUR brutto monatlich.

Jeder Mitarbeiter der Beklagten verfügt über ein sogenanntes Mitarbeiterkonto (MK-Konto). Auf dieses wird seit November 2005 aufgrund eines Sanierungstarifvertrages an Stelle von Weihnachtsgeld jährlich ein sogenannter Sachbezug in Höhe von 1.000,00 EUR für die Mitarbeiter gutgeschrieben. In einer ergänzenden Gesamtbetriebsvereinbarung vom 28.04.2005, Ziffer 3, heißt es:

„Der Sachbezug kann nur mit Käufen in der K. Warenhaus AG verrechnet werden. Eine Barauszahlung ist in jedem Fall ausgeschlossen.”

Ziffer 5 der Gesamtbetriebsvereinbarung führt weiter aus:

„Da die Barauszahlung des Sachbezugs bzw. der Wunschkarte steuerrechtlich nicht möglich ist, verfällt ein bei Austritt eventuell noch bestehendes Guthaben bzw. ein Wert auf der Wunschkarte ersatzlos.” (Bl. 20 d. a.).

Die Gesamtbetriebsvereinbarung hing am Schwarzen Brett aus. Steuerlich handelt es sich um eine Sachzuwendung. Das Mitarbeiterkonto wird allerdings noch nicht mit der Gutschrift der Zuwendung, sondern erst zu dem Zeitpunkt, zu dem die Ware zufließt, unter Berücksichtigung des Vorwegabzuges von 4 % mit dem steuerrelevanten Rabattzähler belastet. Jeder Mitarbeiter kann mit seiner MK-Karte eine sogenannte Wunschkarte erwerben. Alle Wunschkarten sind einheitlich. Es ist nicht erkennbar, ob diese Wunschkarte von Mitarbeitern oder unternehmensfremden Personen erworben wurde. Ferner ist nicht erkennbar, ob auf die Wunschkarte Gehalt, Bargeld oder Sachbezug „aufgeladen” wurde. Es besteht auch keine Möglichkeit, bei einer Bezahlung mit einer Wunschkarte zu erkennen, ob es sich bei dem Guthaben um Sachbezug handelt. Wunschkarten kann man unter Abbuchung des Betrages verwenden, aber auch verkaufen; bei Ebay versteigern, verschenken etc. Bei einem Umtausch/einer Rückgabe von Ware kann der Betrag nicht auf die Wunschkarte zurückgebucht werden. Es wird Bargeld ausgezahlt ohne Differenzierung, ob es sich um Mitarbeiterkäufe oder um Käufe unternehmensfremder Personen handelt.

Der Klägerin wurde für das Jahr 2006 zur allgemeinen Urlaubszeit – allgemein vorgezogen – ein Teil des jährlichen Sachbezuges in Höhe von 500,00 EUR auf das Mitarbeiterkonto gebucht. Am 22.05.2006 kaufte sie über ihr MK-Konto eine Wunschkarte in Höhe von 100,00 EUR. Am gleichen Tag kaufte sie an der Kasse 6 in der Abteilung Damenoberbekleidung um 9.28 Uhr zwei hellblaue Lederjacken Größe 38 á 50,00 EUR. Der Personalrabatt wurde nicht in Anspruch genommen. Im gleichen Atemzug tauschte sie um 9.28 Uhr an Kasse 7 die Kleidungsstücke zurück und erhielt den Kaufpreis in Höhe von insgesamt 100,00 EUR in Bargeld ausgezahlt.

Am 13.06.2006 kaufte sie über ihr MK-Konto eine Wunschkarte im Wert von 50,00 EUR. Am gleichen Tag kaufte sie an Kasse 6 um 12.29 Uhr eine Jeans in ihrer Kleidergröße im Wert von 50,00 EUR, ohne den Personalrabatt in Anspruch zu nehmen. Um 12.56 Uhr gab sie die Ware an Kasse 7 zurück und erhielt den Kaufpreis in bar ausgezahlt.

Am 15.12.2006 wiederholte sich diese Vorgehensweise. Die Klägerin kaufte einer Kollegin eine Wunschkarte im Wert von 250,00 EUR ab. Um 9.29 Uhr kaufte sie an Kasse 6 drei Kaschmirpullis im Wert von 249,85 EUR, ohne den Personalrabatt in Anspruch zu nehmen. Um 17.29 Uhr gab sie an Kasse 7 die Ware zurück und erhielt den Kaufpreis ausgezahlt.

Nachdem im Rahmen einer Revision diese Vorgehensweise der Klägerin sowie entsprechendes Vorgehen weiterer fünf Mitarbeiterinnen der Abteilung Damenoberbekleidung am 22.12.2006 entdeckt und ausgewertet worden war, wurde die Klägerin am 08.01.2007 hierzu befragt. Sie gab an, sich kaum oder nur noch äußerst vage an die Vorfälle zu erinnern. Sie schaue nur selten am Schwarzen Brett im Betrieb nach, habe die Gesamtbetriebsvereinbarung bestimmt einmal gelesen, könne sich jedoch nicht konkret daran und den Inhalt derselben erinnern.

Am 15.01.2007 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise orde...

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