Urteil aufgehoben

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Warnstreik. Flexible Arbeitszeit. Ausstempeln. Zeitkonto. Vergütungsanspruch. Wahlrecht. Arbeitnehmer

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Beteiligt sich ein Arbeitnehmer an einem Streik, so entfällt sein Lohnanspruch. Dazu muss der Arbeitnehmer ausdrücklich oder konkludent erklären, dass er sich am Streik beteiligt und deshalb seine Arbeitspflicht suspendiert sei. Arbeitnehmer, die während des Streiks keiner Arbeitspflicht unterliegen, können am Streik gleichwohl teilnehmen mit der Folge, dass ihre Vergütungs- bzw. Entgeltfortzahlungsansprüche für die Zeit der Teilnahme entfallen.

2. Durch Betriebsvereinbarung können die Betriebsparteien bestimmen, dass Zeiten der Streikteilnahme nicht zur Kürzung des Entgelts, sondern zur Belastung des Gleitzeitkontos führen.

 

Normenkette

BGB § 611; GG Art. 9 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Urteil vom 15.04.2003; Aktenzeichen 6 Ca 3017/02)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 26.07.2005; Aktenzeichen 1 AZR 133/04)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 15. April 2003 – 6 Ca 3017/02 – geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Zahlung von Arbeitslohn; streitig ist, ob der Anspruch des Klägers wegen Teilnahme an einem Warnstreik entfallen ist.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Arbeitnehmer beschäftigt. Die Arbeitszeit ist bei der Beklagten durch die Betriebsvereinbarung „Eigenverantwortliche, flexible Arbeitszeit” (EFA) der D. M. GmbH geregelt, in der es u. a. heißt:

3.5Arbeitszeitdauer

Die Dauer der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ergibt sich aus dem Tarifvertrag und dem Arbeitsvertrag.

4.1Betriebliche Ziele/persönliche Interessen

Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter bzw. jede Gruppe steuert unter Einhaltung der gesetzlichen, tariflichen und betrieblichen Regelungen eigenverantwortlich die Arbeitszeit (einschl. Urlaub) so, dass die betrieblich vorgegebenen Ziele erreicht werden und die individuellen Bedürfnisse dabei Berücksichtigung befinden.

5.2 Speichergrenzen

Zur Flexibilisierung der Arbeitszeit wird ein individueller Zeitspeicher geführt, dessen Volumen – ohne zeitliche Beschränkung des Übertragungszeitraums –

im

Maximum + 150 Stunden

Minimum - 150 Stunden bei Vollzeit

und

Maximum + 100 Stunden

Minimum - 100 Stunden bei Teilzeit

betragen kann.

5.5 Umwandlung von Zeitguthaben

Es erfolgt keine Umwandlung der Zeitkonten in Geld. Eine Auszahlung des Zeitguthabens ist grundsätzlich nicht möglich.

Das regelmäßige Arbeitsentgelt der Arbeitnehmer der Beklagten wird unabhängig von den tatsächlich geleisteten Stunden stets in gleicher Höhe auf der Basis der arbeitsvertraglichen und tarifvertraglichen Arbeitszeit bis zum jeweils Ersten des Folgemonats gezahlt.

Für den 01.04.2002 von ca. 10.00 bis ca. 11.00 Uhr und für den 17.04.2002 von ca. 10.45 bis ca. 12.45 Uhr hatte die zuständige Fachgewerkschaft IG M. die Mitarbeiter der Beklagten zu Warnstreiks aufgerufen. Einige Mitarbeiter der Beklagten legten in den genannten Zeiträumen zur Durchführung der Warnstreiks die Arbeit nieder, meldeten sich ab und streikten. Der Kläger meldete sich am 11.04.2002 vor dem Streikbeginn bei dem Zeiterfassungssystem der Beklagten ab und nach einer Stunde wieder an. Er nahm während dieses Zeitraums, in dem er ausgestempelt hatte, an der Streikkundgebung der IG M. teil.

Die Beklagte hatte dem Kläger den regelmäßigen Lohn für den Monat April 2002 um das für eine Stunde zu leistende Entgelt, nämlich EUR 14,06 – dem mit der Klage geltend gemachten Anspruch –, gekürzt ausgezahlt. Unstreitig ist das Arbeitszeitkonto des Klägers trotz des Ausstempelns durch den Kläger nicht mit einer Stunde belastet worden.

Der Kläger ist der Auffassung, er habe am 11.04.2002 nicht gestreikt, sondern habe entsprechend der ihm durch die EFA eröffneten Möglichkeit seine Arbeitszeit unterbrochen und sei seiner Freizeit nachgegangen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 14,06 nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 11.06.2002 zu zahlen und das für ihn geführte Arbeitszeitkonto auf der Grundlage der Betriebsvereinbarung „eigenverantwortliche, flexible Arbeitszeit”” (EFA) um eine Stunde zu berichtigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, der Kläger habe am 11.04.2002 am Warnstreik teilgenommen, demzufolge sei sein Lohn zu kürzen.

Das Arbeitsgericht Lübeck hat der Klage stattgegeben und dies wie folgt begründet:

Der Kläger habe einen Anspruch auf Zahlung des restlichen Arbeitslohnes sowie auf Korrektur des Arbeitszeitspeichers um eine Stunde, da er am 11.04.2002 nicht gestreikt habe. Der Kläger habe weder ausdrücklich noch schlüssig seine Streikteilnahme erklärt, sondern durch das Ausstempeln gegenüber der Beklagten deutlich gemacht, dass er sich unter Ausnutzung der durch die Betriebsvereinbarung eröffneten Möglichke...

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