Entscheidungsstichwort (Thema)

Gleichstellungsabrede. Altverträge. Rückwirkende Abänderung. Einfache Differenzierungsklausel

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Berühren Vertragsänderungen nach dem 31.12.2001 eine Klausel des ursprünglichen „Altvertrags” nicht, bleibt es bei der Anwendung der Auslegungsregel für bis zum 31.12.2001 abgeschlossene Arbeitsverträge „Altverträge”).

2. Tarifverträge tragen den immanenten Vorbehalt ihrer rückwirkenden Abänderung durch TV in sich. Jedoch ist zwischen der echten und unechten Rückwirkung zu unterscheiden. Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn die nachträglich abweichende Regelung einen bereits in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt betrifft.

3. Sogenannte „einfache Differenzierungsklauseln”, d.h. solche, die in einer anspruchsbegründenden einzelnen Tarifregelung – „im Inneren des Tarifvertrags” – die Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft ausdrücklich zu einer anspruchsbegründenden Voraussetzung machen, sind grundsätzlich wirksam.

 

Normenkette

TVG

 

Verfahrensgang

ArbG Flensburg (Urteil vom 30.03.2011; Aktenzeichen 1 Ca 257/10)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 30.03.2011 – 1 Ca 257/10 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Höhe der tariflichen Sonderzahlungen.

Die Beklagte wurde am 08.01.1985 gegründet. Sie hat als juristische Person ihre Identität beibehalten. Im Jahr 2006 erfolgte eine Änderung des Namens. Die weiteren Änderungen betrafen die Gesellschafter und Gesellschaftsanteile.

Die Klägerin ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern seit dem 01.08.2001 beschäftigt. Sie ist erst seit dem Jahr 2009 Mitglied einer Gewerkschaft. Ihr Arbeitsvertrag enthält u. a. folgende Klausel:

„Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 in der jeweils geltenden Fassung und den sich diesem Tarifvertrag anschließenden Tarifverträgen.”

Die nachfolgenden Änderungen des Arbeitsvertrages vom 02.04.2003 (Bl. 10 d.A.) und 10.06.2005 (Bl. 11 d.A.) bezogen sich nicht auf diese Klausel. Die Vergütungsgruppe der Klägerin wurde mit Datum vom 21.09.2005 mit KR V a BAT Fallgruppe 7 festgestellt (Bl. 12 d.A.).

Bis zum Jahr 2006 richtete sich die Vergütung im Betrieb nach dem BAT bzw. TVöD (Mitteilung vom 14.02.2007, Bl. 37 d.A.). Mit Datum vom 25.03.2007 schlossen die Gewerkschaften Ver.di und NGG mit der D. H. AG einen „Tarifvertrag über die Gewährung einer jährlichen Sonderzahlung” (TV Sonderzahlung, Bl. 106 ff. d.A.). Die Arbeitnehmer erhielten für jedes Wirtschaftsjahr eine vom Konzernergebnis (EBITDA) abhängige Sonderzahlung. Das in § 5 des Tarifvertrages vorgesehene Konzernergebnis wurde unstreitig in den streitbefangenen Jahren nicht erreicht.

§ 5 Ziff. 12 des Tarifvertrages sieht für Mitglieder der Gewerkschaften ver.di sowie NGG in den Jahren 2007 bis 2009 eine garantierte Jahressonderzahlung vor. In § 5 Ziff. 13 TV Sonderzahlung ist Folgendes vorgesehen:

„Als Gewerkschaftsmitglied gilt, wer spätestens am 06.03.2007 in die Gewerk-schaft eingetreten ist und dessen Mitgliedschaft am 30.11. des jeweiligen Wirtschaftsjahres noch besteht und im Anspruchsjahr die Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht gekündigt wurde. Für die Jahre 2008 und folgende gilt jeweils der 01.01. des Jahres als spätestes Eintrittsdatum.”

Nachdem mit Urteil des BAG vom 18.11.2009 (4 AZR 491/08) der Tarifvertrag wegen eines Formmangels für unwirksam erachtet worden war, schlossen die tarifschließenden Parteien mit Datum vom 02.03.2010 u. a. den hier streitigen TV Sonderzahlung, den sie rückwirkend zum 01.01.2007 in Kraft setzten. Die Tarifvertragsparteien waren sich darüber einig, dass durch die rückwirkende Inkraftsetzung das Vertrauen in die Geltung der Tarifverträge wiederhergestellt worden sei.

Die Klägerin hat die ihr nach dem TV Sonderzahlung zustehende Leistung in den streitigen Jahren für die Mitarbeiter, die nicht Gewerkschaftsmitglieder sind, erhalten. Mit ihrer am 06.12.2007 erhobenen Klage hat die Klägerin Leistung der Sonderzahlung wie im vorhergehenden Jahr, hilfsweise in derselben Höhe wie bei einem Gewerkschaftsmitglied, gefordert.

Die Klägerin hat vorgetragen, aufgrund der arbeitsvertraglichen Vereinbarung sei der TVöD auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. Die Sonderzahlung sei nach dieser Vorschrift zu leisten. Ein Rückgriff auf den ursprünglichen Tarifvertrag, der im Arbeitsvertrag vereinbart wurde, sei möglich.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist,

der Klägerin eine Jahressonderzahlung für die Jahre 2007 und 2008 gemäßTVöD zu zahlen,

hilfsweise,

die Klägerin hinsichtlich der Jahressonderzahlung für die Jahre 2007 und 2008 einem Verdi-/NGG-Mitglied gleichzustellen,

und zwar bei beiden Anträgen unter Berücksichtigung/Abzug der bisher in den Jahren 2007 und 2008 bereits ausgekehrten Teil-Jahressonderzahlungen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, d...

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