Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsvereinbarung. Alkoholverbot. Schiffsbesatzung. allgemeine Handlungsfreiheit. Schiffssicherheit. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Spruch der Einigungsstelle

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das durch den Spruch der Einigungsstelle statuierte absolute Verbot, während der Dienstzeit alkoholische Getränke zu sich zu nehmen als auch das Gebot, bei Dienstantritt nicht unter der Wirkung alkoholischer Getränke zu stehen, entsprechen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und verletzen die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) der Besatzungsmitglieder eines Schiffes nicht unangemessen.

2. Auch durch die betriebliche Regelung, dass die Besatzungsmitglieder den Alkoholkonsum während ihrer Freizeit an Bord so gestalten müssen, dass sie jederzeit in der Lage sind, ihre Aufgaben im Rahmen der Schiffssicherheitsorganisation uneingeschränkt zu erfüllen, hat die Einigungsstelle das ihr zustehende Ermessen nicht überschritten. Hiernach ist den Besatzungsmitgliedern nicht jeglicher Alkohol während ihrer Freizeit an Bord verboten. Sie müssen den Alkoholkonsum nur so gestalten, dass sie im Notfall noch jederzeit in der Lage sind, ihre auch während der Freizeit an Bord arbeitsvertraglich geschuldeten Aufgaben im Rahmen der Sicherheitsorganisation uneingeschränkt zu erfüllen. Die durch die betriebliche Regelung zu schützenden Rechtsgüter (Leben, Gesundheit und Sachgüter von erheblichem Wert) anderer, die in einer Notlage auf die Hilfe aller Besatzungsmitglieder angewiesen sind, sind in diesem Fall schutzwürdiger und haben deshalb Vorrang vor der Freiheit der Besatzungsmitglieder, sich während der Freischichten an Bord „betrinken” zu können.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1, § 75 Abs. 1 Sa. 1; GG Art. 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Beschluss vom 17.04.2007; Aktenzeichen See 3 BV 90 c/06)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Betriebsrates gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 17.04.2007, Az. See 3 BV 90 c/06, wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruches.

Der Antragsteller (im Folgenden: Betriebsrat) ist der im Betrieb der Antragsgegnerin (im Folgenden: Arbeitgeberin) eingerichtete Betriebsrat.

Entsprechend einer seitens der Betriebsparteien getroffenen Einigung in dem Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht Lübeck, Az. 3 BV 42 c/06, tagte die Einigungsstelle am 18.09., 01.1. und 01.12.2006 zur Regelung des Alkoholkonsums der Besatzungsmitglieder der MS N. H. und MS R. H. während der Bordtage. Am 01.12.2006 fällte die Einigungsstelle den Spruch betreffend die „Betriebsvereinbarung über den Umgang mit Alkohol” (Bl. 8 f. d.GA.). Ziff. 2 des Spruches enthält folgende Regelung:

„2. Regelung über den Konsum von Alkohol

a) Die Besatzungsmitglieder dürfen bei Dienstantritt nicht unter der Wirkung von alkoholischen Getränken stehen. In der Dienstzeit dürfen sie zudem keine alkoholischen Getränke zu sich nehmen (0,0 Promille im Blut).

b) Die Besatzungsmitglieder müssen deshalb den Alkoholkonsum während ihrer Freizeit an Bord so gestalten, dass sie bei Dienstantritt nicht unter der Wirkung von alkoholischen Getränken stehen. Des Weiteren müssen die Besatzungsmitglieder den Alkoholkonsum während ihrer Freizeit an Bord so gestalten, dass sie jederzeit in der Lage sind, ihre Aufgaben im Rahmen der Schiffssicherheitsorganisation (u.a. Sicherheitsrolle) uneingeschränkt zu erfüllen.

c) Die vorstehenden Regelungen gelten nicht für Besatzungsmitglieder an Überliegetagen gem. Anlage II § 10 Abs. 6 MTV-See und an Werfttagen in der Zeit, in der die Besatzungsmitglieder nicht zum Dienst eingeteilt sind.”

Der Betriebsrat hat gemeint,

die Einigungsstelle habe jedenfalls eine über die gesetzliche Regelung des § 3 Abs. 4 u. 5 SeeSchStr hinausgehende Regelung für den Alkoholkonsum an Bord nicht treffen dürfen. Er hat die 0,0-Promille-Grenze für den Blutalkohol für unverhältnismäßig gehalten. Diese Regelung gehe über das von ihm akzeptierte Verbot, alkoholische Getränke während der Dienstzeit zu sich zu nehmen, hinaus. Sie erfasse auch den Genuss von Alkohol in Speisen (Pralinen, Soßen) und in medizinischen Präparaten. Die 0,0-Promille-Grenze sei unverhältnismäßig, weil sie im Interesse der Schiffssicherheit nicht erforderlich sei. Der Genuss einer Weinbrandbohne oder von Hustensaft beeinträchtige die Sicherheit in keiner Weise. Zudem sei die Einhaltung der 0,0-Promille-Grenze nicht kontrollierbar. Alkohol könne sicher erst ab einem Grenzwert von 0,2 oder 0,3 Promille nachgewiesen werden. Von daher suggeriere der Spruch der Einigungsstelle lediglich Rechtssicherheit.

Der Betriebsrat hat beantragt,

festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 01.12.2006 (Betriebsvereinbarung über den Umgang mit Alkohol) unwirksam ist.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Arbeitgeberin hat unbestritten vorgetragen,

dass sämtliche Besatzungsmitglieder in Notfällen sicherheitsrelevante Aufgaben wahrzun...

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