Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Verfügung. Unterlassungsanspruch im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung. Fremdvergabe. Interessenausgleich, Betriebsrat, Verhandlungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Betriebsrat kann die Unterlassung betriebsändernder Teil-/Maßnahmen verlangen, wenn und solange das Interessenausgleichsverfahren gemäß §§ 111, 112 BetrVG nicht ausgeschöpft ist.

2. Das gebietet unter anderem die richtlinienkonforme Auslegung der §§ 111 ff BetrVG unter Beachtung von Art. 4 und 8 der Richtlinie 2002/14/EG, die ein Nebeneinander verfahrenssichernder Maßnahmen und Sanktionen bei Verstößen gegen Anhörungs- und Unterrichtungsrechte verlangen.

 

Normenkette

BetrVG §§ 111-112; EGRL 14/2002 Art. 8 Abs. e

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Beschluss vom 27.10.2010; Aktenzeichen 6 BVGa 110/10)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 27.10.2010 – 6 BVGa 110/10 – abgeändert:

Der Beteiligten zu 2. wird untersagt, Tätigkeiten der Staplerfahrer in den Hallen 7 (Beschäftigte K., F., H.) und 8 (Beschäftigte N., O. V., C. P., F. R.) an andere Firmen fremd zu vergeben, solange nicht das Verfahren um den Interessenausgleich zur Betriebsänderung „Relayout Halle 61 inkl. Logistik-Konzept” einvernehmlich beendet oder aber in einem Verfahren mit einer Einigungsstelle gescheitert ist.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens um die Unterlassung der Fremdvergabe von Staplertätigkeiten der Hallen 7 und 8 und in diesem Zusammenhang darum, ob diese Tätigkeiten von der geplanten Betriebsänderung „Relayout Halle 61 inklusive Logistik-Konzept” miterfasst ist.

Antragsteller ist der bei der Antragsgegnerin gebildete Betriebsrat (im Folgenden: Betriebsrat). Die Antragsgegnerin (im Folgenden: Arbeitgeber) stellt Bremsbelege her. Sie beschäftigt zurzeit ca. 970 Arbeitnehmer zuzüglich Leiharbeitnehmer und Fremdfirmenbeschäftigte. Seit dem 06.04.2010 befinden sich die Beteiligten in Verhandlungen über einen Interessenausgleich hinsichtlich eines Konzepts „Relayout Halle 61 und geplantes Logistikkonzept”. Die Halle 61 bezieht sich auf die Pkw-Fertigung. Die Umstrukturierung dieser Halle 61 wird nach Angaben der Arbeitgeberin Auswirkungen auf andere Bereiche haben, so sollen der Bereich Verpacken in die Halle 10 verlagert, Staplerfahrer dem Bereich der Halle 10 und größere Bereiche der Halle 6 funktionell dem Versand in Halle 10 zugeordnet werden. Ziel der Beklagten ist es, die Produktivität und den Materialfluss zu verbessern und eine Integration der Verpackungstätigkeiten am Ende der Fertigungslinien zu erreichen (Hausmitteilung vom 06.04.2010, Anlage A 1, Blatt 24 d. A., vgl. auch Anlage B 3, Blatt 29 d. A.). Die Arbeitgeberin hat aus diesem Anlass in der Folgezeit mit dem Betriebsrat in verschiedener Hinsicht über ein geplantes Logistikkonzept und in diesem Zusammenhang auch über die Staplerfahrer in der Logistik und deren Auswirkungen beraten. Sie hat dem Betriebsrat auf Frage nach den Auswirkungen des geplanten Logistik-Konzepts u. a. am 21.05.2010 mitgeteilt, ein wesentlicher Punkt bei der Realisierung des Logistik-Konzepts werde sein, eine bessere Anbindung des gesamten Versand-Bereichs an die Produktion sicherzustellen. Die Beteiligen haben in diesem Zusammenhang auch angefangen, über eine organisatorische Zuordnung der im Bereich SBB-Pkw tätigen Staplerfahrer zum Bereich Versand zu beraten. Die Arbeitgeberin hat dem Betriebsrat insoweit u. a. 31.05.2010 eine Präsentation „Logistik JIT-Projekte”, Stand Juli 2010, vorgelegt, die Veränderungen der Logistik innerhalb der Halle 61, der Halle 6 und der Halle 10 zum Gegenstand hatte (Anlage 5, Blatt 34 ff d. A.). Am 03.09.2010 erklärte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat, man wolle die Tätigkeit von circa 33 Staplerfahrern aus den drei genannten Hallen fremd vergeben. Dem Betriebsrat wurde eine Liste der betroffenen Arbeitnehmer überreicht (Anlage 6, Blatt 40 ff d. A.). Mit Datum vom 27.09.2010 lud die Arbeitgeberin den Betriebsrat zu einer Beratung „projektinterne Logistik” ein. Sie legte dem Betriebsrat unter dem Begriff „Suppley-Chain”, der in der Konzernsprache die Bezeichnung für den gesamten Materialfluss vom Einkauf, Einlagerung bis Produktion und schließlich Versand beinhaltet, eine Organigramm-Folie vor, die eine Logistikorganisation unter Einplanung einer Drittfirma mit Vorgesetztem und Staplerfahrern sowie 14 „indirect workers” in der Logistikorganisation vorsieht. Nach den Planungen der Projekte der Arbeitgeberin soll u. a. der von circa 13 Staplerfahrern durchgeführte Transport in die Logistikorganisation gehen (Anlage 9, Blatt 49 d. A.). Dem Betriebsrat wurde mitgeteilt, die am 03.09.2010 erwähnten 33 Arbeitnehmer von der Liste Anlage 6 würden erst später von einer Fremdvergabe betroffen. Diese Verhandlungen sind nicht abgeschlossen.

Parallel dazu erfolgt im Betrieb unter Beteiligung des Betriebsrates eine Umorganisation der Fertigungsmethoden (Linien-Konzept, Einführung von K...

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