Entscheidungsstichwort (Thema)

Übernahme der Beschäftigten eines privaten Rettungsdienstes durch den Landkreis unter Fortführung der Tätigkeit über einen Eigenbetrieb. Rettungsdienst als durch den Einsatz von Rettungsfahrzeugen geprägter Betrieb. Unbegründete Zahlungsklage einer Rettungssanitäterin bei unzureichenden Darlegungen zur identitätswahrenden Übernahme des bisherigen Betriebs

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei der Durchführung von Rettungsdiensten handelt es sich um eine Aufgabe der Daseinsvorsorge; das steht der Annahme eines Betriebsübergangs im Sinne des § 613a Abs. 1 BGB grundsätzlich nicht entgegen.

2. § 613a BGB findet auch Anwendung, wenn die öffentliche Hand einen privaten Betrieb übernimmt oder ein Betriebsinhaberwechsel zwischen öffentlich-rechtlichen Körperschaften stattfindet; die Übertragung von Dienstleistungen, die im öffentlichen Interesse sind, schließt die Anwendung der unionsrechtlichen Betriebsübergangsrichtlinie (Richtlinie 23/2001/EG vom 12.03.2001) dann nicht aus, wenn die betreffende Tätigkeit keine hoheitliche Tätigkeit darstellt.

3. Hoheitliche Tätigkeit setzt eine hinreichend qualifizierte Ausübung von Sonderrechten, Hoheitsprivilegien oder Zwangsbefugnissen voraus, die bei der Durchführung von Krankentransportleistungen nicht vorliegt; die Einsatzkennzeichnung durch Blaulicht und Einsatzhorn bei höchster Eile, um Menschenleben zu retten oder um schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden, ist keine unmittelbare und spezifische Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt, da die Leistungserbringer des Rettungsdienstes nicht mit besonderen Vorrechten oder Zwangsbefugnissen ausgestattet sind, um die Einhaltung des allgemeinen Rechts zu gewährleisten.

4. Für den Betrieb "Rettungsdienst" ist bei wertender Betrachtung der Einsatz von Rettungsfahrzeugen der eigentliche Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs, der für die auftragsgemäße Verrichtung der Tätigkeit "Rettungsdienst" unverzichtbar ist; identitätsprägend sind deshalb vor allem die zur Durchführung der Notfallrettung und des Krankentransportes überlassenen Rettungsmittel, zu dem geeignete Krankentransportwagen (KTW), Rettungswagen (RTW) und das Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) einzusetzen sind.

5. Gegenüber den Rettungsfahrzeugen ist das Einsatzpersonal im Rettungsdienst (Rettungshelferinnen, Rettungssanitäterinnen, Rettungsassistentinnen, Notärztinnen) zwar hochqualifiziert und umfassend für die jeweiligen Aufgaben bei der Durchführung der Notfallrettung und des Krankentransports ausgebildet; gleichwohl ist deren Übernahme oder Nichtübernahme nicht von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung, ob ein Betriebsübergang vorliegt oder nicht.

6. Hat der beklagte Landkreis Rettungsdienstaufgaben mit dem Personal des bisherigen Dienstleisters ohne weitere Vergabe des Rettungsdienstes an einen privaten Träger fortgesetzt mit dem Entschluss, den Rettungsdienst als Aufgabe der Daseinsvorsorge über einen Eigenbetrieb selbst durchzuführen, liegt kein Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB vor, wenn der Betrieb "Rettungsdienst" nicht identitätsprägend durch Übernahme der sächlichen Betriebsmittel und insbesondere der wirtschaftlich abgeschriebenen, voll funktionstüchtigen und mit einer ordnungsgemäßen Technik ausgestatteten Rettungsfahrzeuge nicht auf den Landkreis übergegangen ist.

 

Normenkette

BGB § 613a Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Halle (Saale) (Entscheidung vom 23.01.2013; Aktenzeichen 8 Ca 1237/12)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 25.08.2016; Aktenzeichen 8 AZR 53/15)

 

Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landkreises wird das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 23.01.2013 - 8 Ca 1237/12 - abgeändert:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten vorliegend darüber, ob das vorangegangene Arbeitsverhältnis gemäß § 613 a BGB mit der Folge der Begründung von Zahlungsansprüchen ab 01.06.2011 auf den beklagten Landkreis übergegangen oder ob zwischen den Parteien ab diesem Zeitpunkt auf der Basis des TVöD-V ein neues Arbeitsverhältnis mit einer Tätigkeit der ... 1972 geborenen Klägerin als Rettungssanitäterin begründet worden ist.

Bis zum 31.05.2011 sicherte der ... e.V. (nachfolgend kurz: ...) den Rettungsdienst für den beklagten Landkreis, der im Zuge der Gebietsreform 2007 entstanden war, im Altkreis S ab. Es wurden die Rettungswachen "S", "R", "Sch" und "A" betrieben. Der ... beschäftigte 41 Arbeitnehmer, darunter seit 30.05.2000 auch den Kläger zu den Bedingungen der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung. Seit dem 01.06.2011 nimmt der beklagte Landkreis die Aufgaben des Rettungsdienstes selbst wahr. Zu diesem Zweck war bereits zum 01.01.2011 die Betriebssatzung für den Eigenbetrieb Rettungsdienst des Landkreises M-S neu gefasst worden. Außerdem erfolgten Stellenausschreibungen für die Organisation des Rettungsdienstes. Von den etwa 70 B...

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