Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin während der Elternzeit

 

Leitsatz (amtlich)

Einzelfallentscheidung betr. die Kündigung einer Arbeitnehmerin mit Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX a.F. und § 18 BEEG.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die durch das Integrationsamt erteilte Zustimmung zur Kündigung einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin entfaltet - außer im Falle der Nichtigkeit - für den Kündigungsschutzprozess solange Wirksamkeit, wie sie nicht bestands- oder rechtskräftig aufgehoben worden ist (§ 88 Abs. 4 SGB IX a.F.).

2. Eine Bestandskraft des Bescheides der zuständigen Behörde vor Ausspruch der Kündigung gegenüber einer in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmerin (§ 18 Abs. 1 BEEG) ist nicht erforderlich; wird der Bescheid von der Arbeitnehmerin durch Widerspruch und Klage angegriffen, ist er bis zu einer gegenteiligen Entscheidung als "schwebend wirksam" anzusehen.

 

Normenkette

SGB IX a.F. §§ 85, 88 Abs. 4; BEEG § 18 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Halle (Entscheidung vom 28.10.2015; Aktenzeichen 8 Ca 371/15)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 28.10.2015 - 8 Ca 371/15 - teilweise unter Zurückweisung der Be-rufung im Übrigen abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 29.01.2015 nicht zum 31.03.2015, sondern erst zum 31.05.2015 aufgelöst worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien je zur Hälfte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses.

Die ledige, am geborene Klägerin war bei dem Beklagten seit dem 15.01.2007 als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt. Die Rechtsbeziehungen der Parteien bestimmten sich nach den Arbeitsverträgen vom 09.01.2007 und 15.04.2007 (Bl. 23 f d.A.).

Die Klägerin ist zu 60 % schwerbehindert und für 2 Kinder unterhaltspflichtig. Sie befand sich vom 29.02.2012 bis 01.03.2015 in Elternzeit.

Der Beklagte, der das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits im Jahr 2011 gekündigt, diese Kündigung jedoch aufgrund einer Schwangerschaft der Klägerin wieder zurückgenommen hatte, kündigte durch ihren dazu beauftragten jetzigen Prozessbevollmächtigten das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut mit Schreiben vom 29.01.2015 (Bl. 57 f d.A.) "fristgemäß" zum 31.03.2015. Der genaue Zeitpunkt des Zugangs dieser Kündigung ist zwischen den Parteien streitig.

Zuvor hatte das Integrationsamt mit Bescheid vom 03.12.2014 (Bl. 31 ff d.A.) auf Antrag des Beklagten vom 10.10.2014 (Bl. 190 ff., 285 ff d.A.) die Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung erteilt. Der Beklagte beantragte sodann mit Schreiben vom 10.12.2014 die Zulässigkeitserklärung für eine Kündigung während der Elternzeit der Klägerin bei dem zuständigen Landesamt für Verbraucherschutz. Dieses erklärte mit Bescheid vom 29.01.2015 (Bl. 45 ff d.A.) eine Kündigung frühestens zum 31.03.2015 für zulässig. Im Verlauf des Rechtsstreits ist nach Vorlage eines Faxprotokolls (Bl. 284 d.A.) durch den Beklagten zwischen den Parteien unstreitig geworden, dass dieser Bescheid dem jetzigen Prozessvertreter des Beklagten, dem auch die Durchführung der besagten Verwaltungsverfahren oblag, am 29.01.2015 um 17.21 Uhr per Fax zugegangen ist. Die Klägerin hat gegen beide Bescheide erfolglos Widerspruch erhoben und greift diese gegenwärtig jeweils mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht Halle an.

Der Beklagte, der hinsichtlich seiner Personalausgaben von dem Land Sachsen-Anhalt gefördert wird, stützt die Kündigung auf das Auslaufen eines geförderten Projekts sowie auf den Umstand, dass nach den Förderrichtlinien des Landes Sachsen-Anhalt Arbeitsverhältnisse nur befristet abgeschlossen werden dürfen. Ein Angebot des Beklagten, das Arbeitsverhältnis nachträglich zu befristen, hat die Klägerin abgelehnt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der streitgegenständlichen Kündigung komme keine Rechtswirksamkeit zu.

Sie bestreitet das Vorliegen von Kündigungsgründen und rügt eine fehlerhafte Sozialauswahl. Hierzu behauptet sie, bei dem Beklagten werden regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer, nämlich 12 Arbeitnehmer einschließlich ihrer Person, beschäftigt. Wegen der von der Klägerin vorgenommenen namentlichen Benennung dieser Mitarbeiter wird auf die Tabelle im Schriftsatz vom 30.06.2015 (Bl. 75 d.A.) verwiesen. Die dort benannte Mitarbeiterin Frau S ist unstreitig als Vertreterin für die Klägerin während ihrer Elternzeit befristet bis zum 28.02.2015 eingestellt worden.

Weiter bestreitet die Klägerin die ordnungsgemäße Anhörung des bei dem Beklagten gebildeten Betriebsrats vor Ausspruch der Kündigung.

Sie ist darüber hinaus der Auffassung, die Kündigung sei treuwidrig. Der Beklagte wolle sie "loswerden", nachdem die Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit und andere öffentliche Stellen ausgelaufen sei. Demgemäß habe der Beklagte die Stelle durch Frau S als Elternzeitvertreterin wiederbesetzt. Di...

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