Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung des normativen Teil eines Tarifvertrags. Identität des Arbeitgebers als Voraussetzung der Bestimmung der Beschäftigungszeit im TVöD-BT-V (VKA)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können.

2. Für die Bestimmung der Beschäftigungszeit stellen die Tarifvertragsparteien ausschließlich auf Beschäftigungszeiten bei "demselben Arbeitgeber" ab. Erst im Weiteren folgen Bestimmungen im Tarifvertrag dazu, wie Arbeitgeberwechsel zu behandeln sind. Es wird damit zwischen Zeiten unterschieden, die unter Wahrung der Identität des Arbeitgebers zurückgelegt worden sind, und solchen, die im Wege der Anrechnung die Beschäftigungszeit ausmachen können. Der Wortlaut der Tarifnorm "bei demselben Arbeitgeber" bezeichnet nach dem Willen der Tarifvertragsparteien die Identität des Arbeitgebers.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; EGRL 2011/23 Art. 3 Abs. 1; TVöD Entgeltgruppen Anl. 1 EG 9a; TVöD-BT-V VKA § 46 Abschn. V Nr. 4 Ziff. 9; BAT-O § 19; TVöD-AT § 34

 

Verfahrensgang

ArbG Dessau (Entscheidung vom 28.02.2018; Aktenzeichen 10 Ca 164/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.01.2022; Aktenzeichen 6 AZR 564/20)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers vom 20.04.2018 gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 28.02.2018 - Az. 10 Ca 164/17 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels.

3. Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

 

Tatbestand

Die beiderseits organisationszugehörigen Parteien streiten im Rahmen der tariflichen Bestimmung zur Übergangsversorgung für Beschäftigte im feuerwehrtechnischen Einsatzdienst über die Anrechnung von Tätigkeitszeiten, die der Kläger vor dem 01.04.1992 nicht bei der Beklagten erbracht hat und von dieser gleichwohl beginnend ab 01.08.1985 als Beschäftigungszeit anerkannt worden sind.

Der Kläger (*...... 1962) war zunächst ab 01.08.1985 auf der Grundlage eines schriftlichen Dienstvertrages mit der Deutschen Volkspolizei, die dem Ministerium des Inneren der DDR unterstand, mit dem Dienstgrad Hauptfeuerwehrmann als Einsatzkraft in der Betriebsfeuerwehr (VEB Filmfabrik Wolfen) eingestellt. Sodann setzte er seine Tätigkeit unverändert ab 01.10.1990 bei der Werksfeuerwehr der Filmfabrik W. AG fort. Am 30.10.1991 beschloss die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Wolfen, einen Antrag auf Übernahme der Immobilien, der Technik und der Feuerwehr der Filmfabrik W. AG zu stellen woraufhin die Stadt die Übernahme der Feuerwache I der Werkfeuerwehr der Filmfabrik W. AG von der Treuhandanstalt zu stellen. Mit Bescheid der Treuhandanstalt vom 30.03.1992 ging das Objekt Feuerwache I in das Eigentum der Stadt W. über. Im Übergabe-/Übernahmeprotokoll wurde außerdem die Übernahme von 34 hauptberuflichen Feuerwehreinsatzkräften, darunter der Kläger, und die Anerkennung der bei der Betriebsfeuerwehr-Abteilung des VEB Filmfabrik W. sowie bei der Werkfeuerwehr der Filmfabrik Wolfen AG geleisteten Dienst- und Arbeitsjahre "als Dienstjahre im Sinne des BAT-O" vereinbart.

Auf den Antrag des Klägers vom 27.04.1992 zur Anerkennung von Beschäftigungszeiten teilte ihm die Stadt W. unter dem 26.10.1992 schriftlich die "Neuberechnung der Beschäftigungszeit nach § 19 BAT-O/§ 6 BMT-G-O" mit: "Als Beginn der Beschäftigungszeit ergibt sich danach der 01.08.1985". Im zum Zwecke der Vereinheitlichung neugefassten schriftlichen Arbeitsvertrag des Klägers vom 18.06.1997 wurde eine Beschäftigung ab 01.08.1985 als vollbeschäftigter Angestellter im feuerwehrtechnischen Dienst auf unbestimmte ausgewiesen. Der Kläger erhält ein Entgelt nach der Entgeltgruppe 9a TVöD Anlage 1.

Mit Schreiben vom 12.12.2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Neuberechnung zur Übergangsversorgung unter Berücksichtigung von Zeiten im feuerwehrtechnischen Einsatzdienst, insbesondere "die Anrechnung der Zeit vom 01.08.1985 bis 30.09.1990 im feuerwehrtechnischen Einsatzdienst beim MdI und der Zeit vom 01.10.1990 bis 31.03.1992 bei der ORWO."

Der in diesem Zusammenhang maßgebliche § 46 Nr. 4 Ziffer 9 TVöD-BT-V (VKA) lautet:

"Sonderregelungen für die am 30. Juni 2015 schon und am 1. Juli 2015 noch im feuerwehrtechnischen Einsatzdienst tätigen Beschäftigten

9.1 ...

9.2 Bei Beschäftigten im feuerwehrtechnischen Einsatzdienst bei einem Arbeitgeber, der Mitglied eines Mitgliedsverbandes der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) ist, deren Tätigkeit im Ein...

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