Entscheidungsstichwort (Thema)

Widersprüchliche Dienstzeitberechnung unter Rücknahme langjährig bestehender Korrektur einer Nichtanrechnung von DDR-Beschäftigungszeiten als "unbillige Härte"

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Festsetzung der Beschäftigungszeit im Sinne des § 19 BAT-O durch den Arbeitgeber hat regelmäßig nur deklaratorische Bedeutung; eine fehlerhaft festgesetzte Beschäftigungszeit kann daher jederzeit zu Gunsten wie auch zu Ungunsten des Arbeitgebers korrigiert werden.

2. Gemäß § 21 BAT-O ist die Arbeitnehmerin lediglich gehindert, nach Ablauf der dort bestimmten Ausschlussfrist weitere Nachweise für anrechnungsfähige Beschäftigungszeiten zu erbringen; diese Vorschrift begründet keine einseitige Bindung der Arbeitnehmerin an die erfolgte Festsetzung.

3. Mit dem Tarifmerkmal der "unbilligen Härte" in § 19 Abs. 1 Unterabsatz 2 BAT-O wollten die Tarifvertragsparteien Besonderheiten des Einzelfalles beim Ausscheiden der Angestellten auf eigenen Wunsch gerecht werden; der Auffangtatbestand soll in besonderen (untypischen) Fällen Einzelgerechtigkeit herstellen.

4. Die Frage, ob die "Härte" für die Angestellte "unbillig" wäre, ist im Rahmen einer Abwägung der wechselseitigen Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu beantworten.

5. Wertungsgesichtspunkte für die Unbilligkeit einer Härte sind unter anderem die heutigen verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, die auch für die Beurteilung von Arbeitsverhältnissen in der ehemaligen DDR gelten; auf die gesellschaftspolitischen Vorstellungen, die dort herrschten, ist grundsätzlich nicht abzustellen.

6. Wenn im Rahmen einer Korrekturentscheidung eine erneute zweite Festsetzung der anzurechnenden Dienstzeiten erfolgt und diese Korrekturentscheidung mehrere Jahre später als Grundlage für die ordnungsgemäße Abwicklung eines 25jährigen Dienstjubiläums dient, ist es dem beklagten Land verwehrt, sich 15 Jahre später im Rahmen des anstehenden 40jährigen Dienstjubiläums darauf zu berufen, dass die Korrektur durch die zweite Festsetzung im Jahre 1993, die beinahe 20 Jahre zurückliegt und seitdem unbeanstandet geblieben ist, nunmehr unwirksam sein soll; ein solches Verhalten ist widersprüchlich.

 

Normenkette

BAT-O § 19 Abs. 1; BGB § 242; TV-L §§ 23, 29; BAT-O § 19 Abs. 1 Unterabs. 2, § 21

 

Verfahrensgang

ArbG Halle (Saale) (Entscheidung vom 13.07.2012; Aktenzeichen 5 Ca 3436/11)

 

Tenor

1. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 13.07.2012 - 5 Ca 3436/11 - wird als unbegründet zurückgewiesen.

2. Das beklagte Land trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Rahmen des vorliegenden Verfahrens sowohl in erster als auch in zweiter Instanz über die Anerkennung von Vordienstzeiten der Klägerin und sich daraus ergebenden Ansprüchen der Klägerin auf Zahlung eines Jubiläumsgeldes nach § 23 TV-L und auf einen Tag Freistellung nach § 29 TV-L.

Die am xx. xx. 1949 geborene Klägerin war ab dem 01. August 1971 als Lehrerin beim damaligen Rat des Kreises N (Abt. Volksbildung) tätig (vgl. Bl. 28 d. A.). Mit Schreiben vom 23. November 1977 beantragte die Klägerin beim damaligen Rat des Kreises N (Abt. Volksbildung) ihre Freistellung bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres ihres Kindes und erklärte, ab dem 01. September 1980 werde sie ihre Tätigkeit als Lehrerin wieder aufnehmen (vgl. Bl. 42 d. A.). Das Antwortschreiben des Rates des Kreises N (Abt. Volksbildung) vom 14. Dezember 1977 lautet (vgl. Bl. 43 d. A.):

"Werte Kollegin!

Auf Ihr Schreiben vom 23.11.1977 teilen wir Ihnen mit, dass wir dem Antrag auf Freistellung bis zur Vollendung des 1. Lebensjahres des Kindes zugestimmt haben. Demnach wird Ihre Betriebszugehörigkeit laut § 247 des neuen Arbeitsgesetzbuches bis zum 4.8.1978 nicht unterbrochen.

Einer Freistellung bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres des Kindes ist nach § 246 nur möglich, wenn ein Krippenplatz nicht bereitgestellt werden kann.

Sollten Sie dennoch Ihr Kind bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres selbst betreuen wollen, dann bitten wir recht bald um entsprechende Mitteilung.

Wir bitten Sie außerdem, Ihre Urkunde für die zusätzliche Altersversorgung unverzüglich bei uns abzugeben, damit wir bis 31.12.1977 den Nachtrag noch erteilen können."

Am 17. Juli 1978 schloss die Klägerin mit dem damaligen Rat des Kreises N (Abt. Volksbildung) einen Aufhebungsvertrag mit Wirkung vom 04. August 1978 zur Betreuung ihres Kindes (vgl. Bl. 27 d. A.). Am 28. Juni 1993 schloss die Klägerin mit dem damaligen Rat des Kreises N (Abt. Volksbildung) einen Arbeitsvertrag betreffend ihre Wiedereinstellung ab dem 13. August 1983 (vgl. Bl. 28 d. A.). Unter dem 10. März 1992 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag, wonach die Klägerin ab 01. Juli 1991 als vollzeitbeschäftigte Lehrkraft im Angestelltenverhältnis auf unbestimmte Zeit weiterbeschäftigt wird (vgl. Bl. 21 - 22 d. A.). Das Schreiben der Bezirksregierung Halle an die Beschäftigten der Schulen im Reg...

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