Entscheidungsstichwort (Thema)

Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nach Widerspruch gegen Betriebsübergang. Fehlerhafte Unterrichtung bei fehlendem Hinweis auf das Sozialplanprivileg der Betriebsübernehmerin. Unbegründeter Verwirkungseinwand bei widerspruchsloser Weiterarbeit von mehr als fünf Jahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Widerspruchsfrist des § 613 a Abs. 6 BGB wird nicht in Lauf gesetzt, wenn in dem Informationsschreiben gem. Abs. 5 der Hinweis darauf fehlt, dass der Betriebsübernehmer das Sozialplanprivileg des § 112 a BetrVG für sich in Anspruch nehmen kann. Erscheint es zweifelhaft, ob die Voraussetzungen des § 112 a BetrVG vorliegen, so hat das Informationsschreiben jedenfalls eine Aussage dahin enthalten, dass diese Frage in rechtlicher Hinsicht unklar ist und welche Auffassung der alte und neue Arbeitgeber hierzu vertreten.

2. Das Widerspruchsrecht ist auch nach Ablauf von mehr als fünf Jahren nach Eintritt des Betriebsübergangs nicht verwirkt, wenn der Arbeitnehmer gegenüber dem neuen Arbeitgeber keine Verfügung über den Bestand des Arbeitsverhältnisses im Ganzen getroffen hat.

 

Normenkette

BGB §§ 613a, 242, 613a Abs. 1 S. 1, Abs. 5-6; BetrVG § 112a

 

Verfahrensgang

ArbG Stendal (Entscheidung vom 18.03.2014; Aktenzeichen 3 Ca 704/13)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 15.12.2016; Aktenzeichen 8 AZR 612/15)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgericht Stendal vom 18.03.2014 - 3 Ca 704/13 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien über den 31.12.2007 hinaus ein Arbeitsverhältnis nach Maßgabe des am 25.05.2005 zwischen dem Kläger und der VTS GmbH und Co KG geschlossenen Arbeitsvertrages besteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nur für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den (Fort-)Bestand eines Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger war seit 01.07.1991 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern beschäftigt. Am 25.05.2005 schloss der Kläger mit der Beklagten sowie der GmbH und Co.KG (im Folgenden: VTS) einen dreiseitigen Vertrag (Bl. 31 bis 37 d. A.), in dem es u. a. heißt:

Dreiseitiger Vertrag

zur Überleitung des mit der D AG

bestehenden Arbeitsverhältnisses auf ein Geschäftsmodell

zwischen

der V GmbH & Co.KG (VTS)

(neuer Arbeitgeber),

sowie der

der D AG, V

(bisheriger Arbeitgeber), im Folgenden vertreten durch die VTS,

...

§ 10 Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses

Der bisherige Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis zur D AG mit Ablauf des 31.03.2005 einvernehmlich beendet wird.

Die Auflösung des bisherigen Arbeitsverhältnisses erfolgt in Anwendung der Regelungen der Anlage 8 des TV Ratio in der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrages gültigen Fassung.

...

§ 14 Rückkehrrecht

1. Gem. Protokollnotiz zu § 3 Absatz 1 der Anlage 8 des TV Ratio der D AG erfolgt für den Fall der Insolvenz des Geschäftsmodells mit Auswirkung auf den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers die Wiederbegründung des Arbeitsverhältnisses zum bisherigen Arbeitgeber zu den zum Zeitpunkt der Begründung des unbefristeten Arbeitsverhältnisses bei dem Geschäftsmodell seinerzeit geltenden individuellen Entgeltbedingungen (Eingruppierung, Gruppenstufen und ggf. Umstellungszulagen); längstens jedoch bis zum 31.12.2008.

2. Darüber hinaus besteht kein weiteres Rückkehrrecht zum bisherigen Arbeitgeber.

...

B, den 25. Mai 2005

V GmbH & Co.KG,

zugleich handelnd namens und mit Vollmacht

für die D AG

..................... .................................

O (Unterschrift des Arbeitnehmers)

ppa.

.......................

J S

Leiterin Personalmanagement

Bei dem Unterzeichner Herrn N handelt es sich um den von der Beklagten für den Abschluss von Aufhebungsverträgen bevollmächtigten Geschäftsführer Personal der Komplementär GmbH der VTS, der zugleich ermächtigt war, für die erforderliche zweite Unterschrift auf dem Vertrag Mitarbeiter der VTS zu bevollmächtigen. Frau S war zum damaligen Zeitpunkt Prokuristin der VTS.

Bei der VTS handelt es sich um ein von der Beklagten errichtetes sog. "Geschäftsmodell", das dazu diente, den zum damaligen Zeitpunkt anstehenden Personalabbau im Konzern im Umfang von 32.000 Arbeitsplätzen sozialverträglich zu gestalten. Ziel war es, die Arbeitsplätze der in das Geschäftsmodell übergeleiteten Mitarbeiter durch Übertragung des Betriebes auf einen am Markt tätigen Investor dauerhaft zu sichern.

Zum 01.01.2008 übernahm die neu gegründete N Deutschland GmbH und Co.KG (im Folgenden: NSNS), eine 100%-ige Tochtergesellschaft der N GmbH & Co.KG (NSN), den Betrieb der Beklagten. Die VTS und die NSNS unterrichteten zuvor mit Schreiben vom 16.11.2007 (Bl. 178 bis 184 d. A.) u. a. auch den Kläger über den beabsichtigten Betriebsübergang. Das Schreiben enthält keinen Hinweis auf die sich aus der Neugründung der NSNS ergebenden sozialplanrechtlichen Folgen (§ 112a BetrVG - Sozialplanprivileg). Ebenso fehlen Angaben zu den Modalitäten des Unternehmenskaufvertrages, der u. a. eine Patronatserklärung der NSN, Auftragssicheru...

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