Entscheidungsstichwort (Thema)

Befugnis des Arbeitgebers zur Verrechnung einer Lohnüberzahlung mit Vergütungsansprüchen. Anforderungen an den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Einrichtung eines Arbeitzeitkontos, insbesondere die Möglichkeit eines negativen Kontostandes, bedarf einer Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien.

2. Die Belastung eines Arbeitszeitkontos mit Minusstunden setzt voraus, dass der Arbeitgeber diese Stunden im Rahmen einer verstetigten Vergütung entlohnt hat und der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist, weil er die in Minusstunden ausgedrückte Arbeitszeit vorschussweise vergütet erhalten hat. Dies gilt jedoch nur dann, wenn sich beide Seiten bei der Auszahlung darüber einig waren, dass es sich um eine Vorwegleistung handelt, die bei Fälligkeit der Forderung verrechnet wird (hier: verneint).

3. Eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat einen hohen Beweiswert.

4. Der Arbeitgeber, der eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht gelten lassen will, muss Umstände darlegen und beweisen, die zu ernsthaften Zweifel an der behaupteten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit Anlass geben.

5. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nicht erschüttert, wenn eine Arbeitnehmerin im Anschluss an die von ihr ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses um Freistellung bittet, da sie sich von einem Vorgesetzten schikaniert fühlt und, nachdem ihr dies nicht gewährt worden ist, eine Bescheinigung einreicht, die eine psychische Erkrankung ausweist.

 

Normenkette

BGB §§ 273, 288 Abs. 5, §§ 296, 615, 781, 812 Abs. 1 S. 1; BUrlG § 7 Abs. 3; EFZG § 3 Abs. 1; BGB § 611

 

Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 28.08.2017; Aktenzeichen 2 Ca 764/17)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 28.08.2017 - 2 Ca 764/17 - werden zurückgewiesen.

  • II.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin zu 17,7 % und die Beklagte zu 82,3 % zu tragen.

  • III.

    Die Revision wird für die Beklagte zugelassen, soweit sie zur Zahlung einer "gesetzlichen Mahnpauschale" in Höhe von 40,00 EUR verurteilt worden ist. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren über einen Gehaltsabzug wegen Minusstunden, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsabgeltung sowie die Zahlung einer Verzugspauschale.

Die Klägerin war in der Zeit vom 10. Juli 2015 bis 15. März 2017 als kaufmännische Angestellte zu einem monatlichen Festgehalt von 1.700,00 EUR brutto zuzüglich einer monatlichen Anwesenheitsprämie von 200,00 EUR brutto beschäftigt. Der Arbeitsvertrag der Parteien vom 30. Juni 2016 (Bl. 22 - 27 d. A.) enthält u.a. folgende Regelungen:

"(...)

Arbeitszeit:

Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt im Unternehmen 40 Stunden.

Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen richten sich nach einer besonderen Prüfung des Betriebes und unterliegen einer gesonderten Absprache mit dem Geschäftsführer der Firma.

Die Arbeitnehmerin ist verpflichtet Mehr- und Überarbeit (Überstunden) zu leisten, soweit dies gesetzlich zulässig ist. Überstunden werden generell nicht vergütet. Auf Anordnung des Unternehmens geleistete Überstunden werden mit Freizeit ausgeglichen. Über den Freizeitausgleich entscheidet das Unternehmen unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange und der berechtigten Interessen der Arbeitnehmerin.

(...)

Urlaub:

Die Arbeitnehmerin hat Anspruch auf einen gesetzlichen Mindesturlaub von derzeit 20 Arbeitstagen im Kalenderjahr - ausgehend von einer Fünf-Tage-Woche. Der Arbeitgeber gewährt zusätzlich einen vertraglichen Urlaub von weiteren 4 Arbeitstagen. Bei der Gewährung von Urlaub wird zuerst der gesetzliche Urlaub eingebracht.

Der Zusatzurlaub mindert sich für jeden vollen Monat, in dem die Arbeitnehmerin keinen Anspruch auf Entgelt bzw. Entgeltfortzahlung hat oder bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses um ein Zwölftel.

Für den vertraglichen Urlaub gilt abweichend von dem gesetzlichen Mindesturlaub, dass der Urlaubsanspruch mit Ablauf des Übertragungszeitraums am 31.03. des Folgejahres auch dann verfällt, wenn er wegen Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin nicht genommen werden kann. Der gesetzliche Urlaub verfällt in diesem Fall erst 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres.

Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind verbleibende Urlaubsansprüche innerhalb der Kündigungsfrist abzubauen, soweit dies möglich ist.

Die rechtliche Behandlung des Urlaubs richtet sich im Übrigen nach den gesetzlichen Bestimmungen.

Der Urlaubsantrag ist schriftlich einzureichen.

(...)"

Bei der Beklagten besteht eine Kernarbeitszeit von 07:00 Uhr bis 18:00 Uhr. Innerhalb dieser werden Mitarbeiter in der Frühschicht (Beginn: 07:00 Uhr) oder in der Spätschicht (Ende: 18:00 Uhr) eingeteilt. Weiterhin existiert ein Zeiterfassungssystem zur minutengenauen Erfassung der individuellen Arbeitszeit. Bis zum Oktober 2016 hatte die...

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