Entscheidungsstichwort (Thema)

Unbegründete außerordentliche Kündigung wegen pflichtwidriger Mitnahme von Pfandflaschen durch Sicherheitsbeauftragten in der Entsorgungsbranche. Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers bei ungestörtem Ablauf eines langjährigen Arbeitsverhältnisses

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Sicherheitsbeauftragte eines Unternehmens der Entsorgungsbranche, das sich auf Biorecycling spezialisiert hat, und dem die Führung einer Kompostanlage, Überprüfung und Nachweis der Temperaturschreibung sowie die Führung des Betriebstagesbuchs nebst der Eintragung von Aufzeichnungen und Nachweisen obliegt, verletzt in erheblicher Weise seine arbeitsvertraglichen Pflichten, wenn er Pfandflaschen vom Betriebsgelände der Arbeitgeberin mitnimmt und sie zu eigenen Zwecken verwertet.

2. Ist das Arbeitsverhältnis über annährend 29 Jahre ungestört verlaufen und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es bis dahin zu irgendwelchen Beanstandungen des Verhaltens oder der Arbeitsweise des Arbeitnehmers gekommen ist, und kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Arbeitnehmer wissentlich Pfandflaschen in vertragswidriger Weise entwendet hat, und kann ihm auch nicht unterstellt werden, dass er davon ausgehen musste, durch sein Verhalten die Vertragsbeziehungen zwischen der Arbeitgeberin und ihrem Kunden zu gefährden, steht nach den Umständen des Einzelfalls der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung das Ergebnis der durchzuführenden umfassenden Interessenabwägung entgegen.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1, § 241 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 27.06.2013; Aktenzeichen 11 Ca 198/13)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 27.6.2013, 11 Ca 198/13, wird zurückgewiesen.

  • II.

    Der Kläger hat 3/4 und die Beklagte 1/4 der Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im vorliegenden Berufungsverfahren noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der am 08.03.1969 geborene Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit 1984 beschäftigt. Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen der Entsorgungsbranche, welches sich auf Biorecycling spezialisiert hat. Wesentliche Grundlage der Beklagten ist die Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb, welcher den Kunden eine zuverlässige und qualifizierte Entsorgung garantiert. Die Beklagte bestätigt ihren Kunden die ordnungsgemäße Entsorgung der von diesen angelieferten Abfällen.

Zu den Aufgaben des Klägers gehörten (zuletzt) neben den Arbeiten als Sicherheitsbeauftragter die Führung der Kompostanlage, Überprüfung und Nachweis Temperaturschreibung sowie die Führung des Betriebstagesbuchs nebst der Eintragung von Aufzeichnungen und Nachweisen.

Unter dem 21.02.2003 unterzeichnete der Kläger eine "Anlage zum Arbeitsvertrag", die wie folgt lautet:

"Wie wir Sie bereits darauf hingewiesen haben, dürfen alle Abfälle welche wir über unseren Kunden entsorgen nicht das Betriebsgelände verlassen.

Die Anweisung gilt uneingeschränkt und ohne jegliche Ausnahme.

Es ist absolut verboten:

- diese Abfälle in Umlauf zu bringen, das heißt an dritte Personen zu überlassen oder gar zu veräußern!

- diese Abfälle an eigene oder fremde Tiere zu verfüttern!

- diese Abfälle für den eigenen oder fremden Verzehr zu verwenden

Wir weisen hiermit nochmals ausdrücklich darauf hin, dass dies nicht nur aus seuchenhygienischen Gründen unabdingbar ist, und wir uns bei Zuwiderhandlung eine fristlose Kündigung vorbehalten.

Mit meiner Unterschrift bestätige ich, dass ich diese Anweisung uneingeschränkt verstanden habe und dies als Anlage zu meinem Vertrag aufgenommen wird."

Am 08.02.2013 wurde dem Geschäftsführer der Beklagten von einem Kunden, einem Getränkehersteller, mitgeteilt, dass an dem Pfandflaschenrückgabeautomaten eines Lebensmittelmarktes in A-Stadt Pfandflaschen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen gewesen sei, in großen Mengen gegen entsprechendes Pfandgeld abgegeben worden seien; hierbei habe es sich um PET-Flaschen gehandelt, welche der Beklagten im November 2012 zur Entsorgung geliefert worden seien. In dem betreffenden Lebensmittelmarkt wurde daraufhin eine Videokamera im Bereich des Pfandflaschenrückgabeautomaten installiert. Am 01.03.2013 konnte per Videoaufnahme festgestellt werden, dass erneut solche Flaschen von einer Person gegen Erhalt des Pfandgeldes in den Automaten abgegeben wurden. Bei der betreffenden Person handelte es sich um den Kläger, der anhand des auf der Videoaufnahme ersichtlichen Kfz-Kennzeichens identifiziert werden konnte.

Am 04.03.2013 wurde der Kläger von einem Geschäftsführer der Beklagten mit dem Vorwurf konfrontiert, zumindest am 01.03.2013 widerrechtlich Flaschen in den Pfandflaschen-Rückgabeautomaten eingegeben und hierfür Pfandgeld kassiert zu haben.

Mit Schreiben vom 04.03.2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos sowie hilfsweise ordentlich zum nächstmögli...

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