Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnwucher. Sittenwidrigkeit. Lohnwucher und Sittenwidrigkeit des Arbeitsengelts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts wegen Wuchers nach § 138 Abs. 2 BGB setzt neben einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus, dass der „Wucherer” die beim anderen Teil bestehende Schwächesituation (Zwangslage, Unerfahrenheit, mangelndes Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche) ausbeutet.

2. Liegt zwar in objektiver Hinsicht ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor, lässt sich jedoch nicht feststellen, dass der Wucherer eine Ausbeutungslage ausgenutzt hat, liegt zwar kein Wuchergeschäft im Sinne von § 138 Abs. 2 BGB vor. Gleichwohl kann das Geschäft nach § 138 Abs. 1 BGB bei Hinzukommen weiterer Umstände wie einer verwerflichen Gesinnung als sogenanntes „wucherähnliches Geschäft sittenwidrig sein.

3. Allerdings kann auch bei Abwesenheit besonderer die Verwerflichkeit begründender Umstände das Maß des auffälligen Missverhältnisses ohne weiteres für eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten sprechen. Dies ist dann der Fall, wenn es sich um ein besonders auffälliges – krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung handelt.

4. Die vom Bundesgerichtshof für mehrere unterschiedliche Rechtsverhältnisse für maßgeblich erachtete Grenze von 50 Prozent des Wert der Gegenleistung kann auf Arbeitsverhältnisse, vorbehaltlich der Besonderheiten des Einzelfalls, übertragen werden.

 

Normenkette

BGB § 138 Abs. 1-2, § 612; DRK-Reformtarifvertrag § 41 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Kaiserslautern (Urteil vom 02.09.2010; Aktenzeichen 2 Ca 151/09)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 02.09.2010 – Az.: 2 Ca 151/09 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerin 815,04 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 04.02.2009, zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten erster Instanz haben die Klägerin zu 92 %, die Beklagte zu 2) zu 8 %,

die Gerichtskosten der zweiten Instanz sowie die in der Berufung erwachsenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin haben die Klägerin zu 87 %, die Beklagte zu 2) zu 13 %,

die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) hat die Klägerin,

die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) hat die Klägerin zu 80 % zu tragen.

Im Übrigen tragen die Parteien ihre jeweiligen außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Vergütungsdifferenzen (nebst Zuschlägen und Sonderzuwendung) aufgrund tariflicher Ansprüche bzw. wegen des Streits um die Sittenwidrigkeit der vereinbarten Vergütung.

Die 31-jährige Klägerin nahm von August 2002 bis Dezember 2008 Dienste als Rettungsassistentin für die Rettungswache K. wahr. Schriftliche Verträge wurden zwischen den Parteien nicht geschlossen.

Die Rettungswache K. war bis zum 31.03.2008 dem Beklagten zu 1. und seit dem 01.04.2008 der Beklagten zu 2. zugeordnet.

Die Gestaltung der Dienste erfolgte nach folgendem, seit Jahrzehnten bei den Beklagten etablierten Prinzip:

Die Klägerin und die anderen, etwa 200 in gleicher Weise eingesetzten Rettungsassistenten bzw. -sanitäter konnten sich – nach der Eintragung der Vollzeitbeschäftigten in den Jahresdienstplan – auf die noch 20 – 30 % offenen Dienste bei den Wachenleitern „bewerben”. Im Monat vorher trugen sie sich im PC der Rettungswache ein oder teilten dem Wachenleiter fernmündlich mit, an welchen Tagen/Nächten des folgenden Monats sie theoretisch Dienste leisten könnten. Aus den so angegebenen Diensten wählte der Wachenleiter aus und teilte kurz vor Beginn des nächsten Monats mit, ob und wenn ja welche und wie viele Dienste der jeweilige Rettungsassistent bzw. -sanitäter bekommen habe.

Darüber hinaus bestand seitens der Beklagten die Möglichkeit, bei zum Beispiel krankheitsbedingtem Ausfall eines Vollzeitbeschäftigten die Klägerin oder andere Rettungsassistenten bzw. -sanitäter äußerst kurzfristig (einen Tag oder nur wenige Stunden vorher) anzurufen und zu ihrer Bereitschaft, den Dienst abzuleisten, zu befragen. Zur Übernahme eines solchen Dienstes bestand keine Verpflichtung. Die geringfügig beschäftigten Rettungsassistenten und -sanitäter „konkurrierten” untereinander um Dienste.

Während der übernommenen Dienste war die Klägerin in den Betrieb der jeweiligen Rettungswache eingegliedert, welches beinhaltete, dass die zur Durchführung der Einsatzfahrten sowie der einsatz- bzw. schichtbezogenen Nebenarbeiten (Fahrzeugcheck, Wiederherstellen der Einsatzbereitschaft, Dokumentation der durchgeführten Einsätze) im Betrieb der Beklagten bzw. der jeweiligen Rettungswache für das hauptamtliche Personal geltenden Regelungen auch von ihr zu beachten waren.

Die Klägerin und die Beklagte zu 2. führten vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern und in zweiter Instanz vor dem Land...

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