Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialauswahl. Unterhaltsverpflichtungen. Berücksichtigung von dem Arbeitgeber unbekannten Unterhaltsverpflichtungen des Arbeitnehmers im Rahmen der Sozialauswahl

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Arbeitgeber darf sich bei der Sozialauswahl hinsichtlich der tatsächlich zu erbringenden gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen des Arbeitnehmers nicht auf die Angaben in der Lohnsteuerkarte verlassen, da diese oftmals nicht die tatsächlichen Verhältnisse richtig wiedergibt. Der Arbeitgeber ist zur Vermeidung von Fehlern bei Durchführung der Sozialauswahl gehalten, die vergleichbaren Arbeitnehmer nach bestehenden Unterhaltsverpflichtungen zu befragen.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Urteil vom 24.11.2005; Aktenzeichen 7 Ca 839/05)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – vom 24.11.2005, Az.: 7 Ca 839/05, wie folgt teilweise abgeändert:

  1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 17.03.2005 zum 30.06.2005 aufgelöst worden ist.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens, längstens jedoch bis zum 30.06.2006, zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Staplerfahrer weiterzubeschäftigen.
  3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Beklagte hat 9/10 und der Kläger 1/10 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der am 09.02.1962 geborene, ledige Kläger war bei der Beklagten seit dem 26.06.1995 als Gabelstaplerfahrer beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 17.03.2005 ordentlich zum 30.06.2005. Darüber hinaus sprach die Beklagte gegenüber weiteren 19 Arbeitnehmern, die bei ihr als Gabelstaplerfahrer tätig waren, ordentliche Kündigungen aus.

Bei Durchführung der Sozialauswahl richtete sich die Beklagte nach einem mit dem Betriebsrat vereinbarten Punkteschema, in welchem das Lebensalter, die Unterhaltsverpflichtungen, die Dauer der Betriebszugehörigkeit sowie eine etwaige Schwerbehinderung des Arbeitnehmers Berücksichtigung finden. Wegen der Ausgestaltung dieses Punkteschemas im Einzelnen wird auf die Seiten 10 und 11 des Schriftsatzes der Beklagten vom 29.07.2005 (= Blatt 29 und 30 d.A.) Bezug genommen. In Anwendung dieses Punkteschemas bewertete die Beklagte die Sozialdaten des Klägers mit insgesamt 11 Punkten, wobei sie hinsichtlich des Kriteriums „Unterhaltsberechtigte” keine Punkte zugunsten des Klägers in Ansatz brachte. Die Lohnsteuerkarte des Klägers enthält keine Eintragungen, die auf das Bestehen von Unterhaltsverpflichtungen hinweisen. Die höchste Punktzahl der – zusammen mit dem Kläger – im Bereich „Gabelstaplerfahrer” insgesamt gekündigten 20 Arbeitnehmer beträgt 13. Gabelstaplerfahrer, die nach den Berechnungen der Beklagten 14 oder mehr Punkte erreichten, wurden nicht gekündigt.

Mit seiner am 04.04.2005 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage wendet sich der Kläger gegen die ihm mit Schreiben vom 17.03.2005 ausgesprochene Kündigung.

Der Kläger hat beantragt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17.03.2005 nicht beendet ist;
  2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Gabelstaplerfahrer weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – vom 24.11.2005 (Blatt 90 – 97 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 24.11.2005 stattgegeben. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 10 – 18 dieses Urteils (= Blatt 97 – 105 d.A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 25.01.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 08.02.2006 Berufung eingelegt und diese innerhalb der ihr mit Beschluss vom 08.03.2006 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 10.04.2006 begründet.

Die Beklagte macht in Ergänzung ihres erstinstanzlichen Sachvortrages im Wesentlichen geltend, die Kündigung sei – entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts – durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG bedingt und auch nicht nach § 1 Abs. 3 KSchG infolge fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam. Einer tatsächlichen Weiterbeschäftigung des Klägers stehe der Umstand entgegen, dass dessen Arbeitserlaubnis, ausgestellt durch die zuständige Agentur für Arbeit, auslaufe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 24.11.2005 – Az.: 7 Ca 842/05 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das mit der Berufung angefochtene Urteil u...

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