Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhaltensbedingte Kündigung i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Häufige Verspätungen als Kündigungsgrund. Interessenabwägung bei der verhaltensbedingten Kündigung. Betriebsbedingte Kündigung i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Kündigung ist i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen bei der Vertragsteile nicht zumutbar ist.

2. Ein wiederholt verspätetes Erscheinen im Betrieb trotz einschlägiger Abmahnungen sowie die Überschreitung der für die Mittagspause vorgesehenen Zeitdauer kann als Verletzung der Arbeitspflicht je nach den Umständen des Einzelfalls einen zur Kündigung berechtigenden Grund im Verhalten des Arbeitnehmers darstellen.

3. Es ist stets die Frage der Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung aufgrund einer umfassenden Würdigung aller im Einzelfall für die zukünftige Vertragsdurchführung relevanten Umstände zu prüfen. Dazu gehören auch die bisherigen und zukünftig zu erwartenden Auswirkungen einer Pflichtverletzung.

4. Eine Kündigung ist im Sinn von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, dass der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist. Dazu müssen im Tätigkeitsbereich des Gekündigten mehr Arbeitnehmer beschäftigt sein, als zur Erledigung der zukünftig anfallenden Arbeiten benötigt werden.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 1, 2 S. 1; EGRL 1107/2009 Art. 3 Nr. 1; BGB § 314 Abs. 2, § 323 Abs. 2; ArbZG §§ 3, 4 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 18.06.2020; Aktenzeichen 3 Ca 204/20)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 18. Juni 2020, Az.: 3 Ca 204/20, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung vom 31. Januar 2020 aus verhaltens- wie betriebsbedingten Gründen zum 30. April 2020.

Der 1964 geborene, kinderlose und nicht verheiratete Kläger ist seit dem 1. Juli 2010 bei der Beklagten aufgrund eines Arbeitsvertrags vom 14. Juni 2010 (Bl. 9 f. d. A.) und Änderungsvereinbarung vom 8. Juni 2012 (Bl. 11 d. A.) als Lebensmittelchemiker zu einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von 4.577,65 € (Entgeltabrechnung für August 2019 Bl. 23 d. A.) bei 40 Stunden/Woche beschäftigt. Der Kläger war ab dem 20. August 2014 bis zum Dezember 2017 sowie vom 6. Februar 2018 bis zum 9. August 2019 eingesetzt als Laborleiter, sodann als fachtechnischer Vorgesetzter. Im Betrieb der Beklagten waren im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt. Ein Betriebsrat besteht nicht.

Mit Rundschreiben vom 15. September 2015 (Bl. 68 d. A.) informierte die Beklagte den Kläger "über die gültigen Arbeitszeitbedingungen, Urlaubsregelungen sowie Regelungen bezüglich Überstunden und Handynutzung." In diesem Rundschreiben heißt es auszugsweise:

"1.) Die Arbeitszeiten sind durch ein Gleitzeitsystem geregelt.

2.) Die Kernarbeitszeit liegt zwischen 08.00 - 17.00 Uhr. In dieser Zeit sollte in jeder Abteilung ein Mitarbeiter anwesend sein. Das neue Zeiterfassungssystem erfasst nur Arbeitszeiten zwischen 06.00 Uhr - 19.00 Uhr (Ausnahme: Reinigungspersonal). Abweichende Arbeitszeiten müssen beim Vorgesetzten genehmigt werden (über N.time).

3.) Vollzeitkräfte bekommen eine Erholungspause von 45 min (15 min Frühstück und 30 min Mittagspause) automatisch vom Zeiterfassungssystem abgezogen. Jeder Mitarbeiter, der die Firma verlässt in den Pausenzeiten oder aus sonstigen Gründen, muss ausstechen. In den Frühstückszeiten (08.30 - 10.30 Uhr) sowie Mittagszeiten (11.00 - 14.30 Uhr) wird die Abwesenheit automatisch mit der Pausenzeit verrechnet.

(...)

Zuwiderhandlungen werden arbeitsrechtlich verfolgt."

Der Kläger bestätigte seine Kenntnisnahme von diesem Rundschreiben durch seine Unterschrift.

Unter dem 21. Oktober 2016 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung aus. Auf die Kündigungsschutzklage des Klägers stellte das Arbeitsgericht Mainz im Rechtsstreit mit dem Az. 3 Ca 1627/16 durch Versäumnisurteil vom 2. Februar 2017 fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 21. Oktober 2016 nicht aufgelöst worden ist. Durch Urteil vom 4. Mai 2017 hielt das Arbeitsgericht dieses Versäumnisurteil aufrecht und verurteilte die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens. Das Landesarbeitsgericht (3 Sa 323/17) wie...

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