Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindung. Auslegung. Härtefall. Kommission. paritätische. Sozialplan. Weiterbeschäftigung. Sozialplanregelung zur Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung an anderem Standort. Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe durch Einigungsstelle und Paritätische Kommission. unbegründete Zahlungsklage auf erhöhte Abfindung bei unzureichenden Darlegungen zur besonderen Einzelfallhärte

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Enthält der Sozialplan mit der Bezeichnung "besondere Einzelfallhärte" einen unbestimmten Rechtsbegriff, ist dieser auslegungsbedürftig und anhand der allgemeinen Auslegungsgrundsätze auch auslegungsfähig; auch wenn dem Wortlaut nicht direkt entnommen werden kann, was die Einigungsstelle unter einer "besonderen Einzelfallhärte" verstanden hat, kann sich doch aus dem Zweck und der Systematik ergeben, dass die Härtefallregelung gewährleisten soll, dass auch in Ausnahmefällen, die wegen ihrer atypischen Ausgestaltung nicht im Einzelnen vorhersehbar sind und sich deshalb nicht mit den abstrakten Merkmalen des Sozialplans erfassen lassen, ein Ergebnis erzielt wird, dass den ansonsten geregelten Tatbeständen zur Unzumutbarkeit in seiner grundsätzlichen Zielrichtung gleichwertig ist.

2. Die Einigungsstelle ist nicht gehalten, im Sozialplan einen Katalog von Härtefallen festzulegen; dadurch entsteht kein unzulässiger Ermessensspielraum für willkürliche Entscheidungen der Paritätischen Kommission.

3. Da Härtefälle auch bei starren Abgrenzungen nie auszuschließen sind, genügen unbestimmte Rechtsbegriffe dann den rechtstaatlichen Erfordernissen der Normenklarheit, wenn sie mit herkömmlichen juristischen Methoden ausgelegt werden können.

4. Haben Beschäftigte grundsätzlich keinen Abfindungsanspruch, wenn sie eine Weiterbeschäftigung an einem anderen Standort zu ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen abgelehnt haben, entspricht dies der gesetzlichen Leitlinie des § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 Hs. 2 BetrVG; da nach dieser Bestimmung ein Ortswechsel für sich allein noch nicht die Unzumutbarkeit begründen soll, ist die Regelungsbefugnis der Einigungsstelle bei der Aufstellung eines Sozialplans insoweit beschränkt.

5. Sieht der Sozialplan ausdrücklich Unzumutbarkeitsgründe vor und werden diese im Einzelnen aufgezählt, darf die Anwendung der Härteregelung im Einzelfall nicht zu einer Umgehung oder Erweiterung der Systematik der Abfindungstatbestände führen; ein "besonderer Härtefall" muss durch atypische Umstände des Einzelfalls bedingt sein, die erheblich vom "Regelfall" abweichen und deswegen Ausnahmeentscheidungen gerechtfertigt erscheinen lassen, so dass die Umstände des Einzelfalls den jeweils betroffenen Beschäftigten ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine "einfache Härte" und erst recht als die mit einem Arbeitsplatzwechsel stets verbundenen Einschnitte.

6. Die Einigungsstelle darf im Einzelfall die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung an einem anderen Standort ohne Rücksicht auf familiäre Bindungen oder sonstige soziale Kontakte ausschließlich an das Vorliegen besonderer Betreuungspflichten bei nachgewiesener Pflegebedürftigkeit knüpfen und ist nicht gehalten, auf alle denkbaren persönlichen Umstände, die einem Wechsel des Arbeitsortes entgegenstehen könnten, Rücksicht zu nehmen.

 

Normenkette

BetrVG §§ 112, 77 Abs. 4, § 112 Abs. 1, 5 S. 2 Nr. 2 Hs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 26.09.2012; Aktenzeichen 4 Ca 1150/12)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 26. September 2012, Az.: 4 Ca 1150/12, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe einer Sozialplanabfindung sowie Ersatz steuerlicher Schäden.

Der 1961 geborene Kläger ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er war vom 20.02.1995 bis zum 31.10.2010 bei der Beklagten am Standort HG zu einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt € 4.444,00 beschäftigt.

Im Jahr 2010 entschloss sich die Beklagte, den Betrieb von HG (Westerwald) mit etwa 170 Arbeitnehmern bis zum 31.12.2010 in das rund 160 Kilometer entfernte C-Stadt (Odenwald) zu verlagern. Diese Verlagerung wurde planmäßig durchgeführt. Der Kläger hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.09.2010 zum 31.10.2010 wegen der Verlagerung selbst gekündigt.

Die Beklagte zahlte dem Kläger im Dezember 2011 eine Abfindung in iHv. € 15.795,93 brutto (€ 12.432,37 netto) aufgrund der Härtefallregelung in § 7 Ziff. 2 des Sozialplans vom 16.09.2010. Mit Klageschrift vom 23.03.2012 verlangt der Kläger die Zahlung von € 74.215,20 brutto, abzüglich gezahlter € 12.432,37 netto, sowie Ersatz steuerlicher Schäden. Der Sozialplan hat - auszugsweise - folgenden Wortlaut:

"§ 1

Leistungsberechtigte Arbeitnehmer

1. ...

2. Keine Ansprüche aus diesem Sozialplan haben:

a) Arbeitnehmer, die eine Weiterbeschäftigung am Standort C-Stadt [...] zu neben dem Standortwechsel im Übrigen unveränderten Arbeitsbedingungen abgelehnt haben, obwohl ihnen die Weiterbeschäftigung am Standort C-Stadt zumut...

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