Entscheidungsstichwort (Thema)

Benachteiligung wegen einer Behinderung durch Verkürzung des Anspruchs auf tarifvertragliche Ausgleichszahlungen auf die Zeit bis zum möglichen Bezug einer ungekürzten Altersrente für schwerbehinderte Menschen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Regelung, die den Anspruch auf tarifvertragliche Ausgleichszahlungen entfallen lässt, sobald eine ungekürzte Altersrente für schwerbehinderte Menschen bezogen werden kann, benachteiligt schwerbehinderte Arbeitnehmer gegenüber nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden und die erst ab einem höheren Lebensalter ungekürzte Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung beanspruchen können.

2. Der finanzielle Vorteil, der einem schwerbehinderten Arbeitnehmer aus dem früheren Rentenbeginn erwächst, hat nicht zur Folge, dass seine Situation eine andere ist, als die eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers.

 

Normenkette

AGG § 3 Abs. 1-2, § 7; BGB § 812 Abs. 1; SGB IX § 164 Abs. 2; TV UmBw §§ 11, 17

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 21.12.2017; Aktenzeichen 7 Ca 1320/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 05.09.2019; Aktenzeichen 6 AZR 533/18)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 21. Dezember 2017 - 7 Ca 1320/17 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die an sie für September 2013 bis August 2015 entsprechend § 11 Tarifvertrag über sozialverträgliche Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Bundeswehr vom 18. Juli 2001 (TV UmBw) gezahlte Ausgleichszahlung zurückzuzahlen.

Die 1950 geborene Beklagte war bei der Klägerin seit dem 1. Oktober 1980 als Tarifbeschäftigte tätig. In einem Zusatzvertrag zum Arbeitsvertrag vom 22. Juli 2005 (Bl. 56 d. A.) vereinbarten die Parteien unter anderem folgendes:

"§ 1

Im Einvernehmen zwischen den Vertragsparteien wird ab 1. September 2005 die Anwendung der Härtefallregelung gemäß § 11 des Tarifvertrages über sozialverträgliche Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Bundeswehr vom 18. Juli 2001 unter Verzicht auf die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung vereinbart (Ruhensregelung).

...

§ 3

Die Arbeitnehmerin erteilt dem Arbeitgeber eine Vollmacht zur Einholung einer Auskunft des Rentenversicherungsträgers über den frühestmöglichen Beginn einer ungekürzten Altersrente. Sie verpflichtet sich des Weiteren, Änderungen in den persönlichen Verhältnissen, insbesondere solche, die Auswirkungen auf den möglichen Eintritt der Voraussetzungen für den Bezug einer ungekürzten Vollrente wegen Alters haben können (wie z.B. Eintritt einer Schwerbehinderung, Anerkennung von Versicherungszeiten), sowie die Stellung eines Rentenantrags unverzüglich der zuständigen personalbearbeitenden Stelle mitzuteilen."

Der durch § 1 des Zusatzvertrags zum Arbeitsvertrag in Bezug genommene TV UmBw lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 11

Härtefallregelung

(1) Kann einer/einem Beschäftigten ... kein Arbeitsplatz nach § 3 angeboten werden ... kann ... in gegenseitigem Einvernehmen ein Verzicht auf die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung (Ruhensregelung) vereinbart werden. Die/der Beschäftigte erhält statt des Entgelts eine monatliche Ausgleichszahlung. ...

(2) Die Ausgleichszahlung wird in Höhe des um 20 v.H. verminderten Einkommens gezahlt. ...

(9) Der Anspruch auf die Ausgleichszahlung entfällt ferner

a) wenn das Arbeitsverhältnis endet,

b) unter den Voraussetzungen des § 17 ...

...

§ 17

Persönliche Anspruchsvoraussetzungen

(1) Ansprüche aus Abschnitt I dieses Tarifvertrages enden mit Ablauf des Kalendermonats vor dem Kalendermonat, in dem die/der Beschäftigte die Voraussetzungen nach dem SGB VI für den Bezug einer ungekürzten Vollrente wegen Alters oder einer entsprechenden Leistung einer Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI oder der Zusatzversorgung erfüllt.

..."

Ebenfalls am 22. Juli 2005 bevollmächtigte die Beklagte die Klägerin schriftlich, eine Auskunft des Rentenversicherungsträgers über den frühestmöglichen Eintritt der Voraussetzungen nach dem SGB VI für den Bezug einer ungekürzten Vollrente einzuholen.

Die Klägerin beantragte eine solche Rentenauskunft. Sie wurde unter dem 26. März 2010 erteilt und von der Klägerin mit der Berufungsbegründung vorgelegt (vgl. Bl. 248 ff. d. A.). Auf Seite 8 dieser Rentenauskunft heißt es auszugsweise:

"H Altersrente für Frauen

Die Altersrente für Frauen kann bei erfüllter Wartezeit gezahlt werden, wenn das maßgebende Lebensalter erreicht ist, die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird und nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als zehn Jahre (mindestens 121 Monate) Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt sind.

Die Wartezeit für diese Rente beträgt 15 Jahre mit Beitragszeiten und Ersatzzeiten. Diese Wartezeit ist erfüllt.

...

Werden die Anspruchsvoraussetzungen für diese Rente erfüllt, ergibt sich für Sie Folgendes:

Kein Rentenabs...

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