Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung. Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum Ende des Kündigungsschutzprozesses. Anforderungen an Darlegungslast der Parteien nach § 138 ZPO. Verhältnismäßigkeit der fristlosen Kündigung wegen sexueller Belästigung. Ausreichende Abmahnung bei steuerbarem Verhalten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung wegen sexueller Belästigung ist unverhältnismäßig und unwirksam, wenn der Kündigungsvorwurf tatsächlich nicht nachgewiesen werden kann und eine Abmahnung das mildere und ausreichende Mittel gewesen wäre.

2. § 12 AGG gewährt keinen besonderen Kündigungsgrund.

3. Trotz verbaler Belästigung und unerwünschter Berührung ist es dem Arbeitgeber zuzumuten, den Arbeitnehmer bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Vor allem dann, wenn aufgrund steuerbaren Verhaltens eine Wiederholung nicht zu erwarten ist.

4. Eine Abmahnung ist entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in der Zukunft nicht zu erwarten ist.

 

Normenkette

BGB §§ 613a, 626 Abs. 1; ZPO § 138 Abs. 1, § 286 Abs. 1; AGG § 3 Abs. 4, § 12 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 14.01.2020; Aktenzeichen 6 Ca 2849/19)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.01.2020, Az.: 6 Ca 2849/19, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.09.2019 fristlos, oder aber unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 30.04.2020 aufgelöst worden ist. Des Weiteren streiten die Parteien darüber, ob der Kläger von der Beklagten die Weiterbeschäftigung als Teamleiter verlangen kann.

Der Kläger ist seit Juni 1985 bei der Beklagten, auf die der Beschäftigungsbetrieb des Klägers im Wege des Betriebsübergangs gem. § 613a BGB im Mai 2016 (s. Bl. 11 d. A.) übergegangen ist, beschäftigt. Der Kläger hat zuletzt ein Bruttoeinkommen von 3.631,15 € bezogen. Das Arbeitsverhältnis beruht zuletzt auf dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 12.10.2016, hinsichtlich dessen weiteren Inhalts auf Bl. 14 bis 17 d. A. Bezug genommen wird. Gem. § 1 des Arbeitsvertrages ist die Tätigkeit des Klägers als Teamleiter bezeichnet.

Mit Schreiben vom 18.09.2019, dem Kläger zugegangen am 19.09.2019, hat die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30.04.2020 gekündigt. Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Bl. 21 d. A. Bezug genommen. Zuvor hatte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat am 16.09.2019 angehört; hinsichtlich des weiteren Inhalts des Anhörungsschreibens wird auf Bl. 42 f. d. A. Bezug genommen. Der Betriebsrat hat am 17.09.2019 der Kündigung als außerordentliche Kündigung zugestimmt; insoweit wird auf Bl. 44 d. A. Bezug genommen.

Der Kläger hat am 24.09.2019 Klage erhoben und sich gegen die Kündigung vom 18.09.2019 zur Wehr gesetzt. Die Klage ist der Beklagten am 30.09.2019 zugestellt worden.

Der Kläger hat vorgetragen,

es seien keine Gründe gegeben, die es dem Arbeitgeber unzumutbar machten, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fortzuführen. Soweit der Vorwurf sexueller Belästigung erhoben werde, liege kein ausreichender Kündigungsgrund vor. Jedenfalls habe die Beklagte als milderes Mittel vorab eine Abmahnung aussprechen müssen. Im Übrigen werde die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates bestritten.

Der Kläger hat beantragt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 18.09.2019, zugegangen am 19.09.2019 nicht aufgelöst worden ist;
  2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die hilfeweise ausgesprochene fristgemäße ordentliche Kündigung vom 18.09.2019, zugegangen am 19.09.2019 zum 30.04.2020 nicht aufgelöst worden ist;
  3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu 1) und oder zu 2) zu den im Arbeitsvertrag vom 12.10.2016 geregelten Arbeitsbedingungen als Teamleiter bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

der Kläger sei zuletzt als Gruppenkoordinator in der Produktion eingesetzt gewesen. Der Arbeitsvertrag der Parteien sei vorgelegt worden.

Am 16.09.2019 habe die bei der Beklagten beschäftigte Leiharbeiterin, Frau Me., die Beklagte über einen Vorfall sexueller Belästigung durch den Kläger informiert.

Danach habe der Kläger etwa vier Wochen vor der Meldung durch Frau Me. diese auf dem Weg zum Wasserspender verfolgt und am Wasserspender völlig unerwartet berührt. Er habe ihr mit der Hand zunächst über die Schulter und dann Richtung Brust gestrichen. Frau Me. sei überrascht und schockiert und daraufhin drei...

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