Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsorgliche Urlaubserteilung bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung. Kündigung und Arbeitsentgelt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Arbeitgeber kann bei oder nach Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung (vorsorglich) Urlaub für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigung festlegen (gegen LAG Berlin, Urteil vom 07.03.2002, NZA-RR 03, 130).

2. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bereits früher anlässlich einer vom Arbeitnehmer ausgesprochenen ordentlichen Kündigung „freigestellt” hat.

3. Besteht kein Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers (hier: nach Selbstkündigung eines Außendienstmitarbeiters wegen Abwanderung zu einem Konkurrenzunternehmen) und erklärt der Arbeitgeber die „Freistellung”, liegt hierin keine Willenserklärung des Arbeitgebers, sondern die Äußerung der Rechtsmeinung, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs nicht gegeben sind.

4. Der Arbeitgeber kann die Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung nicht einseitig aufheben bzw. auf seinen Anspruch „verzichten”, da ein einseitiger Verzicht auf schuldrechtliche Forderungen dem deutschen Recht fremd ist.

5. Heben die Parteien durch Erlassvertrag die Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung uneingeschränkt auf „einvernehmliche Freistellung”), kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nachträglich nicht mehr zum Zwecke der Urlaubseinbringung von der Arbeitsleistung freistellen.

6. Ist der Arbeitnehmer bis zum Ende der Kündigungsfrist freigestellt und erklärt der Arbeitgeber die Anrechnung des Urlaubs, der weniger Tage umfasst als die Restvertragszeit, so liegt trotz fehlender datumsmäßiger Bestimmung eine wirksame Urlaubsfestsetzung vor. Der Urlaub beginnt ab sofort (Rechtsgedanke des § 366 Abs. 2 BGB).

7. Bemüht sich ein während der Kündigungsfrist freigestellter Arbeitnehmer nicht um Urlaub, obwohl ihm dies zumutbar ist, kann der Urlaubsanspruch nicht wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden, sondern wegen der Untätigkeit des Arbeitnehmers. Ein Abgeltungsanspruch besteht nicht.

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abs. 1, 4

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Urteil vom 25.05.2005; Aktenzeichen 12 Ca 6911/04)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 14.08.2007; Aktenzeichen 9 AZR 934/06)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 25.05.2005 (Az.: 12 Ca 6911/04) – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen – teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

  1. Das Versäumnisurteil vom 06.04.2005 wird in Nummer 3 aufgehoben.

    Der Klageantrag zu 3) wird abgewiesen.

  2. Im Übrigen bleibt das Versäumnisurteil mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die Beklagte verurteilt wird, das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis für den Zeitraum vom 23.07.2004 bis 31.08.2004 auf der Basis eines monatlichen Bruttogehaltes von EUR 2.769,95 abzurechnen.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten ihrer Säumnis, von den übrigen Kosten tragen der Kläger 26 %, die Beklagte 74 %.

II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 40 %, die Beklagte 60 %.

III. Die Revision wird hinsichtlich des Klageantrags zu 3) zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger war bei der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin ab 10.02.2003 als Außendienstmitarbeiter beschäftigt. Der Kläger bezog zuletzt ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt von EUR 2.769,95. Die Beklagte ist ein überregional tätiges Unternehmen auf dem Gebiet der Orthopädie- und Rehatechnik. Mit Schreiben vom 08.07.2004 kündigte der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 31.08.2004. Noch am 08.07.2004 wurde der Kläger von der Arbeitsleistung freigestellt. Die Parteien streiten um die Frage, ob mit der Freistellung auch eine Urlaubsanrechnung erklärt worden ist. Seit dem 01.09.2004 arbeitet der Kläger in einer neu gegründeten Niederlassung der Firma C., D., die als Konkurrenzunternehmen im Wettbewerb zur Beklagten steht. Ende Juni, Anfang Juli 2004 kündigten zudem der Geschäftsführer der Beklagten sowie dessen Ehefrau und noch weitere fünf Arbeitnehmer der Beklagten, die in Verwaltung und Außendienst tätig waren. Sämtliche Arbeitnehmer arbeiten seit dem 01.09.2004 für die Firma C..

Mit Schreiben vom 22.07.2004, dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Das Kündigungsschreiben hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

„Aufgrund der nunmehr bekannt gewordenen Vorkommnisse kündigen wir Ihnen hiermit fristlos das Arbeitsverhältnis.

Soweit Sie von der Arbeit freigestellt sind, erfolgt dies unter Anrechnung auf etwaige Resturlaubsansprüche”.

Mit der vorliegenden Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung vom 22.07.2004. Außerdem macht er einen Anspruch auf Abrechnung des Lohns bis 31.08.2004 und einen Zeugnisanspruch geltend. Des Weiteren begehrt er Urlaubsabgeltung für 24 noch offene Urlaubstage in Höhe von EUR 3.021,84 brutto.

Die Beklagte hat Widerklage erhoben mit dem Antrag festzustellen, dass der Kläger ihr zum Schadenersatz...

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