Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ausreichende Betriebszugehörigkeitsdauer (§ 1 Abs. 1 KSchG), ausreichende Betriebsgröße (§ 23 Abs. 1 KSchG) und die Rüge des fehlenden Grundes für die ordentliche (§ 1 KSchG) oder außerordentliche (§§ 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG, 626 BGB) Kündigung bzw. deren Sittenwidrigkeit (§ 13 Abs. 2 KSchG) sind Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Kündigungsschutz klage.

2. Wird der Streitgegenstand einer Kündigungsschutzklage auch in der Frage gesehen, ob das Arbeitsverhältnis zum vorgesehenen Auflösungszeitpunkt (noch) besteht (so BAG, Urteil vom 05.10.1995 – 2 AZR 909/94 = NZA 1996, 651), so dürfte sich daraus im Falle eines Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 1 BGB schon angesichts der Möglichkeit, daß der Übernehmer noch vor dem vom Betriebsveräußerer gewählten Beendigungstermin eine zweite Kündigung mit früherem Beendigungstermin ausspricht, die Notwendigkeit ergeben, die Kündigungsschutz klage gegen den Übernehmer zu richten (Rechtsfrage offen gelassen).

3. Bei einer europarechtskonformen Auslegung des § 613a Abs. 1 BGB ist maßgeblich auf die Wahrung der Identität der übertragenen wirtschaftlichen Einheit abzustellen. Bei einer wesentlichen Änderung der prägenden Faktoren dieser Einheit geht die Identität verloren.

4. Zu den prägenden Faktoren zählt der Ort der Arbeitsleistung. Eine Verlegung des Mittelpunkts der übertragenen betrieblichen Tätigkeiten in einen ca. 25 km entfernten anderen Ort führt zum Verlust der Identität. Die Entscheidung des EuGH vom 14.04.1994 (Rs. C-392/92-Christel Schmidt = BB 1994, 1500) steht dem – auch bei der Übertragung von Dienstleistungen – nicht entgegen.

5. Zu den prägenden Faktoren zählt auch der Inhalt der Arbeitsverträge der betroffenen Arbeitnehmer. Sind die Arbeitsverträge erst im Wege des Änderungsvertrages oder der Änderungskündigung den beim Übernehmer bestehenden betrieblichen Gegebenheiten anzupassen (z. B. Änderung des Erfüllungsortes der Arbeitsleistung) und betrifft die Notwendigkeit einer Vertragsänderung einen nicht unbeträchtlichen Teil der betroffenen Arbeitnehmer (nach Meinung der Kammer ist dieses Erfordernis jedenfalls bei einem Viertel der Arbeitnehmer gegeben), geht die Identität der wirtschaftlichen Einheit verloren. Dies folgt aus dem Zweck des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, Arbeitsverhältnisse mit dem konkret bestehenden Inhalt aufrechtzuerhalten.

 

Normenkette

KSchG § 4; BGB § 613a

 

Verfahrensgang

ArbG Würzburg (Urteil vom 20.09.1995; Aktenzeichen 7 Ca 52/95)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 22.01.1998; Aktenzeichen 8 AZR 623/96)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 20.09.1995 – 7 Ca 52/95 – wird auf Kosten des Berufungsführers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer von der Beklagten zu 1 ausgesprochenen ordentlichen betriebsbedingten Kündigung und den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte zu 2.

Der Kläger war seit 1975 bei der Beklagten zu 1 mit Sitz in W. als Auslieferungsfahrer und Küchenmonteur beschäftigt. Die monatliche Vergütung betrug durchschnittlich DM 4.350,–brutto. Die Beklagte zu 1 verkauft Möbel. Bis zum 31.12.1994 besorgte die Beklagte zu 1 beim Verkauf der Möbel die Auslieferung und Montage der Möbel durch eigenes Personal. Die Beklagte zu 1 beschäftigte bis zum 31.12.1994 drei Verkäufer, zwei weitere kaufmännische Angestellte, einen Lageristen, eine Zugehfrau, einen Kundendienstmitarbeiter und – einschließlich des Klägers – vier Auslieferungsfahrer. Diese vier Auslieferungsfahrer wurden bis zum 31.12.1994 auch dafür eingesetzt, Möbel der Firma W. auszuliefern. Mit dieser Firma hatte die Beklagte zu 1 einen Transportvertrag. Etwa ein Drittel der gesamten Auslieferungs- und Montagearbeiten entfiel auf Lieferungen für die Firma W. Die Beklagte zu 1 schloß mit Wirkung ab 01.01.1995 mit der Beklagten zu 2 einen Transportvertrag. Danach verpflichtete sich die Beklagte zu 2 mit Sitz in K., die Möbel der Beklagten zu 1 auszuliefern und zu montieren.

Mit Schreiben vom 29.12.1994 kündigte die Beklagte zu 1 das Arbeitsverhältnis zum 30.06.1995. Die Beklagte zu 2 bot dem Kläger mit Wirkung ab 01.01.1995 einen neuen Arbeitsvertrag an. Der Kläger nahm dieses Angebot nicht an. Auch die übrigen drei Auslieferungsfahrer erhielten von der Beklagten zu 2 Vertragsangebote, die diese – im Gegensatz zum Kläger – annahmen. Wie der Kläger im zweiten Rechtszug unstreitig gestellt hat, sind die für die Beklagte zu 2 zu erbringenden Dienstleistungen von deren Betriebssitz in K. aus durchzuführen.

Mit der am 11.01.1995 beim Arbeitsgericht Würzburg eingegangenen Klage hat der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1 die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung geltend gemacht und Kündigungsschutzklage erhoben. In der Sitzung des Arbeitsgerichts vom 05.04.1995 hat der Kläger zu Protokoll weiterhin gegenüber der Beklagten zu 2 den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht.

Der Kläger hat im ers...

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