Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Vergütung für tatsächlich geleistete Abeitsstunden am Heiligabend. Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages

 

Leitsatz (amtlich)

Die tarifliche Regelung "Wer am 24. Dezember arbeitet, erhält eine durchschnittliche Tagesvergütung sowie einen Zuschlag von 100% für die tatsächlich geleistete Arbeitszeit" unter der Überschrift "Feiertagszuschläge" schließt den Anspruch des Arbeitnehmers auf den Lohn für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden an Heiligabend nicht aus.

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei der Auslegung normativer Tarifbestimmungen ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung, ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt,

 

Normenkette

BGB §§ 611, 611a; TVG § 1; MTV Filmtheater (HausTV) § 5 Nr. 1 S. 3 Fassung: 2017-01-27, § 10 Nr. 2 Fassung: 2017-01-27

 

Verfahrensgang

ArbG Bamberg (Entscheidung vom 21.12.2018; Aktenzeichen 5 Ca 376/18)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 20.07.2022; Aktenzeichen 10 AZR 220/20)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes Bamberg vom 21.12.2018 - 5 Ca 376/18 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten zuletzt noch um den Vergütungsanspruch der Klägerin für die Arbeit an Heiligabend 2017 im Filmtheater der Beklagten in B....

Die am 28.07.1990 geborene Klägerin ist seit dem 01.11.2010 bei der Beklagten als Servicemitarbeiterin, zuletzt in der Funktion einer Ebenenleitung beschäftigt in Teilzeit mit 86,5 Stunden im Monat und einem Bruttoarbeitsentgelt von 10,92 € je Stunde, bestehend aus dem Grundstundenlohn in Höhe von 9,32 € und dem Ebenenzuschlag von 1,60 €, zu im Übrigen den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 01.10.2010 und der Zusatzvereinbarung Nr. 1 ohne Datum.

Die Beklagte betreibt bundesweit Filmtheater. Die zwischen der Beklagten und ver.di abgeschlossenen Haustarifverträge finden auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.

Die §§ 2, 4, 5, 10 des Manteltarifvertrages zwischen ver.di und der Beklagten vom 27.01.2017 (im Folgenden MTV) sehen - soweit hier von Interesse - vor:

§ 2 Regelmäßige Arbeitszeit

1. Die Arbeitszeit in den Filmtheatern wird durch die Besonderheiten des Berufes bestimmt. Die Spitze der Arbeitsleistung liegt demgemäß in der zweiten Tageshälfte, am Wochenende und an den Feiertagen.

2. ...

3. ... In den Betrieben gilt für alle ArbeitnehmerInnen die 5-Tage-Woche.

...

§ 4 Regelmäßige arbeitsfreie Zeit

...

1. ArbeitnehmerInnen, für die die 5-Tage-Woche gilt, haben in jeder Woche Anspruch auf 2, in der Regel zusammenhängende arbeitsfreie Tage.

...

2. Der 24. Dezember ist grundsätzlich spielfrei und darf nicht als freier Tag angerechnet werden. Wird an diesem Tag dennoch gearbeitet, so bedarf es hierzu der Zustimmung der betroffenen Beschäftigten, es sei denn, dass

a) diese Praxis bisher betriebsüblich war,

b) die Vorstellungen bis 18:00 Uhr beendet sind,

c) Arbeiten zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig sind.

§ 5 Zuschlagspflichtige Arbeitszeit

1. Feiertagszuschläge

Wer an einem gesetzlichen Feiertag arbeitet, erhält einen Zuschlag von 50%. Für den Ostersonntag und -montag, den 1. Mai, den Pfingstsonntag und -montag sowie den 1. und 2. Weihnachtsfeiertag ist ein Zuschlag von 100% zu zahlen. Wer am 24. Dezember arbeitet, erhält eine durchschnittliche Tagesvergütung sowie einen Zuschlag von 100% für die tatsächlich geleistete Arbeitszeit.

2. Nachtarbeit

...

3. Taxikosten

...

4. Mehrarbeit

...

5. Arbeit an arbeitsfreien Tagen

...

6. Berechnung der Zuschläge

Die Zuschläge werden auf der Basis des jeweils gemäß Entgelttarifvertrag gewährten Stundenentgelts berechnet.

7. Konkurrierende Zeitzuschläge

Treffen mehrere Zeitzuschläge (Nacht- und Feiertagszuschläge) zusammen, so ist der höhere zu zahlen.

...

§ 10 Vergütung

...

4. Die Höhe der Vergütung richtet sich nach dem Entgelttarifvertrag. Die darin angegebenen Beträge sind Mindestsätze.

...

Die §§ 2 und 4 des Entgelttarifvertrages zwischen ver.di und der Beklagten vom 27.01.2017 (im Folgend...

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