Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Vergleichs im Kündigungsschutzprozess hinsichtlich der Anrechnung eines Zwischenverdienstes bei Vereinbarung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses über den Kündigungszeitpunkt hinaus zu reduzierter Vergütung

 

Leitsatz (amtlich)

Regeln die Parteien im Vergleich eines Bestandsstreits, dass das Arbeitsverhältnis über den Zeitpunkt der fristlosen Kündigung während eines beschränkten Zeitraums fortbestanden hat und während dieses Zeitraums nur noch die Hälfte der bisherigen Vergütung abzurechnen ist, bedarf es für die Anrechnung eines Zwischenverdienstes einer ausdrücklichen Regelung im Vergleich; zumal dann, wenn die Abrechnung auch restliche Urlaubstage und Feiertage erfassen soll.

 

Normenkette

BGB §§ 615, 779

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 13.07.2018; Aktenzeichen 10 Ca 5977/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.05.2020; Aktenzeichen 5 AZR 101/19)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 13.07.2018, Az.: 10 Ca 5977/17, abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin

- für Oktober 2015 1.343,75 € brutto abzüglich auf die Bundesagentur übergegangener 1.021,80 € netto nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz aus 321,95 € brutto seit 01.11.2015,

- für November 2015 1.343,75 € brutto abzüglich auf die Bundesagentur übergegangener 272,48 € netto nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz aus 1.071,27 € brutto seit 01.12.2015,

- für Dezember 2015 1.343,75 € brutto nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.01.2016,

- für Januar 2016 1.343,75 € brutto nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.02.2016 zu bezahlen sowie

- der Klägerin für die Monate Oktober 2015 bis einschließlich Januar 2016 Lohnabrechnungen über monatlich 1.343,75 € brutto zu erteilen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche der Klägerin.

Die am 26.12.1977 geborene Klägerin war bei der Beklagten seit dem 01.01.1996 als Rechtsfachwirtin beschäftigt, zuletzt als Kanzleivorsteherin zu einem monatlichen Bruttogehalt von EUR 2.687,50.

Mit Schreiben vom 07.09.2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.

Der hiergegen vor dem Arbeitsgericht Nürnberg (Az. 4 Ca 5174/15) geführte Kündigungsrechtsstreit endete in der mündlichen Verhandlung vom 15.03.2016 mit einem Vergleich (Bl. 8, 9 d.A.), wonach das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund ordentlicher arbeitgeberseitiger Kündigung mit Ablauf des 31.01.2016 endete.

In Ziffer 2 des Vergleiches war folgende Regelung enthalten:

"Die Beklagte rechnet das Arbeitsverhältnis bis zu dessen Beendigung auf Basis eines Bruttomonatsgehalts in Höhe von EUR 1.343,75 ordnungsgemäß ab und zahlt den entsprechenden Nettobetrag, vorbehaltlich auf Dritte übergegangener Ansprüche, an die Klägerin aus."

Die Ziffer 7 des Vergleiches enthielt eine umfassende finanzielle Abgeltungsklausel.

Die Klägerin erzielte ab November 2015 anderweitige Einkünfte, die den Betrag von EUR 1.343,75 pro Monat überstiegen.

Die Beklagte erstellte wegen dieses anderweitigen Verdienstes keine Abrechnung gemäß Ziffer 2 des Vergleiches und leistete auch keine Zahlungen an die Klägerin.

Ein von der die Klägerin eingeleitetes Zwangsvollstreckungsverfahren blieb ohne Erfolg, denn nach dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 11.09.2017, Az. 7 Ta 28/17, war der Abrechnungstitel in Bezug auf eine Anrechnung gemäß § 615 Satz 2 BGB nicht ausreichend bestimmt.

Mit ihrer Klage vom 25.10.2017, beim Arbeitsgericht Nürnberg eingegangen am 30.10.2017 und der Beklagten zugestellt am 07.11.2017, verfolgt die Klägerin die Ansprüche aus Ziffer 2 des Vergleiches gerichtlich weiter.

Die Klägerin meint, es sei ein eigener Zahlungsanspruch begründet und eine Anrechnung gemäß § 615 Satz 2 BGB nicht vorgesehen worden. Da sie im Vergleich auf 50 % ihres Lohnanspruches für den fraglichen Zeitraum verzichtet habe, hätte es für eine weitere Anrechnung eines Zwischenverdienstes einer ausdrücklichen Regelung im Vergleich bedurft. Aus der Abgeltungsklausel im Vergleich folge, dass die Parteien eine abschließende Regelung gewollt hätten.

Wegen der Anträge der Parteien und ihres näheren Vorbringens im erstinstanzlichen Verfahren wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Endurteil vom 13.07.2018 die Klage abgewiesen.

Es hat dies im Wesentlichen damit begründet, es bestünden keine Zahlungsansprüche der Klägerin mehr, da sich die Beklagte nach Ausspruch der Kündigung in Annahmeverzug befunden habe und eine Anrechnung anderweitigen Verdienstes im streitgegenständlichen Zeitraum nach § 615 Satz 2 BGB vorzunehmen sei. Dies ergebe die Auslegung des Vergleichs vom 15.03.2016 gem. §§ 133, 157 BGB.

Nach § 615 Satz 2 BGB müsse sich der Arbeitnehmer im Verzugszeitraum das anrechnen lassen, was er durch anderweitige Verwen...

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