Entscheidungsstichwort (Thema)

Beharrliche Arbeitsverweigerung als wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Risikoverteilung bei rechtswidriger Arbeitsverweigerung. Entbehrlichkeit einer Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung. Urlaubskürzung bei Pflege- oder Elternzeit. Zeitrahmen für die Erklärung der Urlaubskürzung bei Pflege- oder Elternzeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es stellt einen wichtigen Grund "an sich" für eine außerordentliche fristlose Kündigung dar, wenn der Arbeitnehmer in der unzutreffenden Annahme eines Zurückbehaltungsrechts an seiner Arbeitsleistung deren Erbringung über einen längeren Zeitraum (hier: mehrere Monate) verweigert.

2. Der Arbeitgeber kann das Recht, den Urlaub des Arbeitnehmers nach § 3 Abs. 4 PflegeZG und nach § 17 Abs. 1 BEEG zu kürzen, auch nach dem Ende von Pflegezeit und Elternzeit durch eine entsprechende Erklärung ausüben, solange das Arbeitsverhältnis noch besteht, Anschluss an BAG, Urteil vom 19.03.2019 - 9 AZR 495/17 -.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist.

2. Einer Abmahnung vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten. Gleiches gilt, wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich ausgeschlossen ist. Bei einer beharrlichen Arbeitsverweigerung kann deshalb eine Abmahnung entbehrlich sein.

 

Normenkette

BGB §§ 273, 626; KSchG § 1 Abs. 2; PflegeZG § 3 Abs. 4; BEEG § 17 Abs. 1; BGB §§ 297, 611a Abs. 1, §§ 615, 622 Abs. 2 Nr. 5, § 623; EFZG § 3; BUrlG § 7 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Würzburg (Entscheidung vom 28.05.2019; Aktenzeichen 2 Ca 1336/18)

 

Tenor

I. Auf die Berufungen der Klägerin und der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichtes Würzburg - Kammer Aschaffenburg - 2 Ca 1336/18 - vom 28.05.2019 abgeändert.

II. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 28.01.2019 nicht zum 29.01.2019 aufgelöst worden ist. Im Übrigen wird die Kündigungsschutzklage abgewiesen.

III. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 550,80 € brutto zu zahlen.

IV. Die Berufung der Beklagten wird im Übrigen zurückgewiesen.

V. Die Berufung der Klägerin wird im Übrigen zurückgewiesen.

VI. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5.

VII. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung sowie Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis.

Die 1976 geborene, verheiratete und drei Kindern unterhaltspflichtige Klägerin war bei der Beklagten seit 10.07.2004 auf Geringverdienerbasis beschäftigt, seit 01.02.2008 sozialversicherungspflichtig als Kinderbetreuung zu den Bedingungen des Formulararbeitsvertrages vom 18.10.2007 (Blatt 11 ff d.A.). Mit Zusatzvereinbarung vom gleichen Tag (Blatt 14 d.A.) vereinbarten die Parteien eine monatliche Arbeitszeit von durchschnittlich 90 Stunden, geführt in einem Jahresnettostundenkonto bei einem Gehalt von 758,00 € brutto monatlich, einem Urlaubsgeld von 442,00 € brutto und einem Weihnachtsgeld von 414,00 € brutto, freiwillige Zahlung (70% im November; 30% bei Zielerreichung). In § 17 des Formulararbeitsvertrages ist eine einstufige Ausschlussfrist vereinbart:

"Sämtliche Ansprüche des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin aus dem Arbeitsverhältnis sind schriftlich innerhalb einer Frist von 3 Monaten ab Fälligkeit gegenüber dem Arbeitgeber geltend zu machen. Abweichend davon bei Urlaub gilt eine Frist von drei Monaten nach Ende des Kalenderjahres.

Die Ansprüche erlöschen, wenn sie nicht vor Ablauf dieser Ausschlussfristen geltend gemacht werden."

Die Beklagte betreibt ein Möbelhaus und bietet Kinderbetreuung von Montag bis Freitag von 13:00 Uhr bis 18:30 Uhr sowie am Samstag für die gesamte Öffnungszeit von 09:30 bis 18:00 Uhr an. Die Klägerin arbeitete als Kinderbetreuung regelhaft am Donnerstag und Freitag von 13:30 Uhr bis 18:30 Uhr und am Samstag von 09:30 bis 18:00 Uhr. Die restlichen Stunden arbeitete sie nicht regelhaft.

Im Jahr 2002 gebar sie ihren ersten Sohn. Dieser ist behindert mit einem GdB von 80. Im Jahr 2011 gebar sie ihren zweiten Sohn. Im Anschluss daran war sie durchgängig in Elternzeit für diesen und einen dritten Sohn sowie in Pflegezeit für den Erstgeborenen und zuletzt für ihre Mutter vom 16.01.2018 bis 16.07.2018.

Am 15.06.2018 telefonierte die Klägerin mit der Personalleiterin der Beklagten wegen der Wiederaufnahme der Beschäftigung und teilte mit, dass sie wegen der Pflegesituation möglichst vormittags zwischen 09:00 Uhr und 12:00 Uhr arbeiten wolle. Dies lehnte die Personall...

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