Entscheidungsstichwort (Thema)

Personalvertretung. Kündigung. Schwerbehinderung. Personalratsanhörung. Zeitraum zwischen Anhörung und Kündigungsausspruch. Beratungspflicht. Vorsorgliche Beteiligung des Integrationsamtes. soziale Auswahl. Punkteschema und Schwerbehinderung. Erhöhung des Behindertengrades nach Widerspruch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Kündigung ist nach Art. 77 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 77 Abs. 1, 72 Abs. 1 BayPVG unwirksam, wenn die Kündigung mit dem Personalrat nicht beraten worden ist. Dies gilt zumindest dann, wenn der Personalrat der Kündigung widersprochen hat, wenn er darauf hingewiesen hat, dass seiner Auffassung nach eine soziale Auswahl durchzuführen sei und wenn er dem Arbeitgeber mitgeteilt hat, er stehe zu einer Besprechung der Angelegenheit zur Verfügung.

2. Erläutert der Bürgermeister dem Personalrat betriebsbedingte Kündigungsgründe, macht er aber keinerlei Angaben über die soziale Auswahl und erklärt er auch nicht, dass eine Sozialauswahl aus seiner Sicht nicht erforderlich sei, ist die Anhörung, wenn der Personalrat die fehlende Sozialauswahl rügt, der Bürgermeister die Angaben aber nicht nachholt, zumindest dann unwirksam, wenn die Kündigung ohnehin erst Monate später ausgesprochen wird und dem Personalrat hierüber weitere Mitteilungen gemacht werden.

3. Ist eine Beteiligung des Integrationsamtes für die Kündigung nicht erforderlich, kann der Arbeitgeber nicht so vorgehen, dass er zunächst den Personalrat anhört, dann trotzdem vorsorglich um Zustimmung des Integrationsamtes bittet und die Kündigung erst nach deren Erhalt – mehr als vier Monate nach der Personalratsanhörung – ausspricht. In diesem Fall ist erforderliche Zusammenhang zwischen dem Personalrat mitgeteilter Kündigungsabsicht und Ausspruch der Kündigung nicht mehr gegeben.

4. Ein vom Arbeitgeber ohne Absprache mit dem Personalrat verwendetes Punkteschema mit der Summe aus Lebensalter: 10, Betriebszugehörigkeitsjahr × 3 und Unterhaltspflicht × 6 berücksichtigt das Lebensalter nicht ausreichend. Außerdem fehlt die Berücksichtigung der Schwerbehinderung.

5. Erhöht das Versorgungsamt nach einem Widerspruch des Arbeitnehmers den Grad der Behinderung nach oder kurz vor Ausspruch der Kündigung auf 50, so ist die Kündigung mangels Zustimmung des Integrationsamtes nach § 90 Abs. 2a (zweite Alternative) SGB IX unwirksam, soweit nicht Umstände vorgetragen oder ersichtlich sind, dass die Festsetzung auf einen Grad von 50 aufgrund eines Verschuldens des Arbeitnehmers erfolgt ist.

 

Normenkette

BayPVG Art. 77 Abs. 4; BetrVG § 102 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 3; SGB IX § 90 Abs. 2a

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Urteil vom 09.02.2005; Aktenzeichen 17 Ca 8442/04)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 09.02.2005, Az. 17 Ca 8442/04, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier betriebsbedingter Arbeitgeberkündigungen.

Der am 16.02.1957 geborene Kläger ist seit 15.02.1997 bei der Beklagten beschäftigt, und zwar zunächst im Rahmen einer Eingliederungsmaßnahme nach Arbeitsförderungsgesetz vom 15.02.1997 bis 30.09.1997 (Anlage zum Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 21.12.2004, Bl. 37 f. d.A.), dann ebenfalls als Förderungsmaßnahme verlängert bis 31.03.1999 (ebenda, Bl. 39 f. d.A.), dann als Zeitangestellter im Rahmen einer Strukturanpassungsmaßnahme bis 31.12.2001 (ebenda, Bl. 41 f.), schließlich mit Anstellungsvertrag vom 18.12.2001 auf unbestimmte Zeit (ebenda, Bl. 65 d.A.). In den Zuschussbescheiden des Arbeitsamtes C… für die geförderten Maßnahmen ist als Bezeichnung der Maßnahme jeweils angeführt: „Zusätzliche Öffentlichkeitsarbeit und Besucherbetreuung im Zusammenhang mit den D…-Festspielen 1997” bzw. „Neuordnung und EDV-Erfassung des Kostümfundus für die D…festspiele” bzw. „EDV-gestützte Neuordnung des Ausstattungs- und Kostümfundus für die D…festspiele” (ebenda, Bl. 50 ff. d.A.). In den befristeten Verträgen ist als Arbeitsaufgabe „Angestellter für Arbeiten nach §§ 91 bis 96 bzw. §§ 97 bis 99 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG)” bzw. im Jahr 1999 „Zeitangestellter im Rahmen einer Strukturanpassungsmaßnahme” aufgeführt. Im Anstellungsvertrag vom 18.12.2001 (a.a.O., Bl. 65 d.A.) heißt es:

„§ 1 Herr A… wird ab 01. Januar 2002 als vollbeschäftigter Angestellter auf unbestimmte Zeit eingestellt.”

§ 2 Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und den durch diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung. Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung.

§ 3 Eine Probezeit wird nicht vereinbart.

§ 4 Die Angestellte ist in der Vergütungsgruppe VII der Anlage 1 a zum BAT eingruppiert (§ 22 Abs. 3 BAT).

§ 5 Änderungen und Ergänzungen des Arbeitsvertrages einschließlich von Nebenabreden sind ...

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