Entscheidungsstichwort (Thema)

Verzicht auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Unwirksamkeit einer Klageverzichtsprämie. Betriebsvereinbarung als Teil des Sozialplans nicht unwirksam. Parallelentscheidung zu LAG Nürnberg 2 Sa 227/20 v. 14.10.2020

 

Leitsatz (amtlich)

Die Verknüpfung der Zahlung eines Teils der Sozialplanabfindung mit einem Verzicht auf die Kündigungsschutzklage (sog. Klageverzichtsprämie) ist zweckwidrig und daher unwirksam. Dies gilt auch, wenn die Klageverzichtsprämie in einer eigenen Betriebsvereinbarung geregelt, die Prämie aber aus dem Sozialplanvolumen finanziert ist. In einem solchen Fall können Sozialplan und Betriebsvereinbarung als Einheit zu betrachten sein mit der Folge, dass nicht die Betriebsvereinbarung insgesamt unwirksam ist, sondern die Klageverzichtsprämie die im Sozialplan vorgesehene Abfindung erhöht ggf. unter Berücksichtigung etwaiger Kappungsgrenzen.

 

Normenkette

BetrVG §§ 77, 112; AGG §§ 1, 3, 7, 10, 15; GG Art. 3 Abs. 1; BetrVG § 75 Abs. 1; Sozialplan Nr. III Fassung: 2019-06-05; BV Klageverzichtsprämie Fassung: 2019-06-05

 

Verfahrensgang

ArbG Weiden (Entscheidung vom 11.03.2020; Aktenzeichen 3 Ca 1111/19)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.10.2022; Aktenzeichen 1 AZR 129/21)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Weiden - Kammer Schwandorf - vom 11.03.2020, Az.: 3 Ca 1111/19, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob im Zusammenhang mit einem Sozialplan Ansprüche des Klägers auf eine höhere Abfindung bestehen.

Der zum Zeitpunkt des Ausscheidens 54-jährige Kläger ist seit über 30 Jahren als Einrichter im Werk B... der Beklagten, die dem Konzern der O...-Group angehört, beschäftigt. Sein Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt 4.088,51 € (Anlage K2, Blatt 11 der Akten).

Am 05.06.2019 schlossen die Beklagte und der in ihrem Werk B... bestehende Betriebsrat in der Einigungsstelle neben einem Interessenausgleich vom selben Tag einen Sozialplan zum Ausgleich bzw. zur Milderung der den Arbeitnehmern infolge der Werkschließung in B... entstehenden Nachteile (Anlage K3, Blatt 12 ff. der Akten) ab. Der Sozialplan sieht u. a. für alle Arbeitnehmer, die betriebsbedingt gekündigt werden, einen Anspruch auf eine Abfindung vor (Ziffer III. 1. a). Die Abfindung errechnet sich gemäß Ziffer III 1. c. aa) des Sozialplans nach der Formel: "Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatseinkommen x Faktor". Der Faktor beträgt nach der sich anschließenden Tabelle bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres 0,25, vom 41. bis zum 50. Lebensjahr 0,35, vom 51. bis zum 55. Lebensjahr 0,75, vom 56. bis zum 58. Lebensjahr 0,95, vom 59. bis zum 60. Lebensjahr 0,85, im 61. Lebensjahr 0,55, im 62. Lebensjahr 0,25 und vom 63. bis zum 66. Lebensjahr 0,15. Im Anschluss an die Tabelle Ziffer III. 1. c aa) ist im Sozialplan bestimmt:

"...

bb) Die Abfindung erhöht sich für jedes unterhaltsberechtigte Kind um 1.500 EUR brutto pro Kind. ...

cc) Für Schwerbehinderte und Gleichgestellte wird ein zusätzlicher Abfindungsbetrag in Höhe von 1.500 EUR brutto gezahlt. Liegt der Grad der Behinderung über 50 gilt folgendes: Bei einem GdB ≫ 50 beträgt die zusätzliche Abfindung 2.000 EUR.

dd) Die Gesamtabfindung ergibt sich aus der Addition der o. g. Beträge.

ee) Der sich insgesamt ergebende Abfindungsbetrag (Gesamtabfindung) wird auf einen max. Höchstbetrag von 75.000 € pro Arbeitnehmer beschränkt. Für Mitarbeiter, die 62 Jahre und älter am Stichtag 30.06.2019 sind, beträgt der Höchstbetrag 45.000 €.

..."

Neben dem Interessenausgleich und dem Sozialplan schlossen die Betriebsparteien in der Einigungsstelle auf Vorschlag des Einigungsstellenvorsitzenden ebenfalls am 05.06.2019 eine "Betriebsvereinbarung bezüglich einer Klageverzichtsprämie" (fortan: BV Klageverzichtsprämie, Anlage K4, Blatt 19 der Akten) ab, sie wurde in gleicher Weise wie der Interessenausgleich und der Sozialplan vom selben Tag vom Einigungsstellenvorsitzenden mitunterzeichnet. In der BV Klageverzichtsprämie heißt es:

"...

Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Interessenausgleichs und Sozialplans vom 05.06.2019 fallen und Ansprüche auf eine Abfindung haben, gekündigt werden und keine Kündigungsschutzklage erheben, haben Anspruch auf eine höhere Abfindung.

Der Faktor gem. III. 1. c) aa) des Sozialplans erhöht sich um weitere 0,25 (Beispiel: Faktor bei einem Alter von 56 am Stichtag 30.06.2019 erhöht sich von 0,95 auf insgesamt 1,2)

..."

Mit Schreiben vom 15.07.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich und betriebsbedingt zum 29.02.2020 (Anlage K1, Blatt 10 der Akten). Eine Kündigungsschutzklage erhob der Kläger nicht. Die Beklagte beendete die Produktion am Standort B... zum 31.08.2019. Der Kläger wurde ab 01.09.2019 freigestellt.

Die Beklagte wandte die Kappungsgrenze des Sozialplans für die Berechnung der Abfindung auch auf die Klageverzichtsprämie an. So übersandte sie dem Kläger eine undatierte Abfindungsber...

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