Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Ausschluss erstattungsfähiger Reiseauslagen in Arbeitsgerichtsprozessen durch § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Erstattungsfähigkeit fiktiver Reisekosten und nach dem RVG anfallender Anwaltsgebühren. Erstattungsfähigkeit von Bahnfahrkarten erster Klasse bei Entsendung eines Rechtsanwalts zum Gerichtstermin

 

Leitsatz (amtlich)

1. Soweit eine Partei eigene Reisekosten vermeidet, indem sie einen Rechtsanwalt zu Gerichtsterminen entsendet, sind die dadurch anfallenden Anwaltsgebühren- und auslagen in Höhe der fiktiven Reisekosten von der unterliegenden Partei zu tragen, die angefallen und gemäß §§ 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO i. V. m. §§ 19, 5 JVEG erstattungsfähig gewesen wären, wenn die obsiegende Partei selbst zu den Gerichtsterminen erschienen wäre. Bis zur Höhe dieser fiktiven Reisekosten sind auch die nach dem RVG anfallenden Anwaltsgebühren zu erstatten.

2. Aus § 5 Abs. 1 JVEG folgt, dass die obsiegende Partei im Rahmen der fiktiven Reisekosten die Kosten in Ansatz bringen kann, die für Bahnfahrten erster Klasse zu den Gerichtsterminen angefallen wären, wenn die Partei diese selbst wahrgenommen hätte. Es besteht weder eine Verpflichtung ein kostengünstigeres Beförderungsmittel in Ansatz zu bringen, noch ein eventuelles Sparangebot der Bahn zu berücksichtigen. Daher können die Bahnkosten erster Klasse im sog. "Flexpreis"-Tarif der Bahn in Ansatz gebracht werden.

 

Leitsatz (redaktionell)

Nach § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind die Kosten für die Beiziehung eines Prozessbevollmächtigten erstinstanzlich nicht erstattungsfähig. Durch diese Regelung soll das Kostenrisiko der Partei begrenzt werden. Sie soll aber nicht dadurch begünstigt werden, dass die Gegenpartei einen Prozessbevollmächtigten entsendet. Daher sind deren Anwaltsgebühren und -auslagen in Höhe der erstattungsfähigen Reiseauslagen von der unterliegenden Partei zu tragen.

 

Normenkette

ZPO §§ 104, 91; JVEG § 5; ArbGG § 12a Abs. 1 S. 1; JVEG §§ 6, 19; EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5, § 9 Abs. 4a S. 3; RVG §§ 11, 21 Nr. 2; RPflG § 11 Abs. 1; VwGO § 162 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 26.08.2020; Aktenzeichen 4 Ca 1866/17)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 26.08.2020 - 4 Ca 1866/17 teilweise abgeändert.

2. Die von dem Kläger an den Beklagten gemäß § 104 ZPO zu erstattenden Kosten werden festgesetzt auf EUR 741,00 zuzüglich von Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.04.2020.

3. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

4. Von Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger 90 % und der Beklagte 10 %.

5. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird festgesetzt auf EUR 350,00.

 

Gründe

I.

Mit Endurteil vom 18.09.2019 wurde die Klage auf Kosten des Klägers abgewiesen und der Streitwert iHv. EUR 42.840,00 festgesetzt. Im Berufungsverfahren haben die Parteien am 13.11.2020 einen gerichtlichen Vergleich geschlossen, wonach es bei der Kostenentscheidung erster Instanz verbleibt.

Der Beklagte hat seinen Sitz in Berlin. In den Gerichtsverhandlungen vor dem Arbeitsgericht Nürnberg am 06.03.2018 und am 18.09.2019 war er selbst nicht anwesend und wurde von seinem in Hamburg ansässigen Prozessbevollmächtigten vertreten.

Mit Schriftsatz vom 30.07.2020 hat der Beklagte zuletzt beantragt, die vom Kläger zu erstattenden fiktiven Reisekosten iHv. EUR 824,00 festzusetzen. Er trägt vor, dass diese Kosten dem Beklagten für die An - und Abreise zu den beiden Gerichtsterminen mit der Bahn entstanden wären, wenn er selbst an Verhandlungsterminen vor dem Arbeitsgericht Nürnberg teilgenommen hätte. In diesem Fall hätte der Beklagte gem. § 5 Abs. 1 JVEG zu den Gerichtsterminen Bahnfahrten erster Klasse von Berlin nach Nürnberg unternehmen dürfen, wofür laut Internet-Auskunft der Deutschen Bahn für jeden Termin für Hin- und Rückfahrt insgesamt EUR 422,00 brutto, mithin für beide Termine insgesamt EUR 844,00 brutto bzw. EUR 710,00 netto angefallen wären. Die Kosten für die erforderlichen Taxifahrten zum Hauptbahnhof Berlin und vom Hauptbahnhof Nürnberg zum Arbeitsgericht hätten bei Anreise des Beklagten etwa 90,00 € netto betragen. Hinzu käme für beide Tage gem. § 6 JVEG, §§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5, 9 Abs. 4a S. 3 EStG ein Abwesenheitsgeld iHv jeweils EUR 12,00 pro Tag. Die tatsächlich entstandenen Reisekosten des Prozessbevollmächtigten würden EUR 910,53 betragen. Diese setzten sich zusammen aus Kosten für die Flug-Benutzung iHv. EUR 327,91 am 06.03.2018 und iHv. EUR 380,19 am 18.09.2019 sowie für Bahn-Benutzung iHv. EUR 5,79 am 06.03.2018 und iHv. EUR 93,11 am 18.09.2019, jeweils EUR 40,00 Tages- und Abwesenheitsgeld für den 06.03.2018 und 18.09.2019 und Parkgebühren iHv. EUR 23,53 am 06.03.2018. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass der Kläger dem Beklagten bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten nicht nur die entstandenen Reisekosten des Prozessbevollmächtigten, sondern auch dessen Anwaltsgebühren nach RVG (Verfahrensgebühr nach VV3100, Termin...

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