Entscheidungsstichwort (Thema)

Einleitung eines Beschlussverfahrens durch den Betriebsrat. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Fehlzeitengesprächen mit Kollektivbezug. Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei individuellen Fehlzeiten- und Fürsorgegesprächen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Einleitung eines Beschlussverfahrens durch den Betriebsrat und die Beauftragung von Rechtsanwälten mit der Vertretung im Verfahren bedarf einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung seitens des Betriebsrats. Dazu bedarf es einer ordnungsgemäßen Einladung der Betriebsratsmitglieder zu der Sitzung mit Angabe der Beratungsgegenstände in der beigefügten Tagesordnung und einer Sitzung mit einer entsprechenden wirksamen Beschlussfassung.

2. Formalisierte Krankengespräche unterliegen der Mitbestimmung des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, wenn die Auswahl der zu den Gesprächen herangezogenen Arbeitnehmer nach abstrakten Regeln erfolgt und das Gespräch durch einen gleichförmigen Ablauf formalisiert ist und es um eine betriebliche Aufklärung zur Erkennung der Einflüsse der Arbeit auf den Krankenstand geht.

3. Der Mitbestimmung des Betriebsrats unterfällt nicht das fallweise mit einem oder mehreren Mitarbeitern in unstrukturierter Form geführte Fehlzeiten- oder Fürsorgegespräch über krankheitsbedingte Fehlzeiten und eventuelle Einflüsse der Arbeit hierauf.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; BetrVG § 34 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Würzburg (Entscheidung vom 26.09.2019; Aktenzeichen 11 BV 1/19)

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg - Kammer Aschaffenburg - vom 26.09.2019 - 11 BV 1/19 - wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um Mitbestimmungsrechte des Beteiligten zu 1) bei der Durchführung von Fürsorgegesprächen.

Der Beteiligte zu 2) hat seinen Sitz in N... und betreibt bundesweit ambulante Einrichtungen, die sogenannten Nierenzentren. Dort werden nierenkranke Menschen behandelt und insbesondere ambulant Blutwäsche durchgeführt. In A... wird ebenfalls ein Nierenzentrum mit etwa 44 Mitarbeitern betrieben. Der Beteiligte zu 2) ist der dort gewählte Betriebsrat. Es besteht ein Gesamtbetriebsrat und ein Konzernbetriebsrat.

Am 01.04.2018 nahm im Nierenzentrum A... eine neue Verwaltungsleitung ihre Tätigkeit auf. In einer Betriebsversammlung am 20.12.2018 kündigte diese an, Krankenrückkehrgespräche führen zu wollen. In einem späteren Vortrag zur Umstrukturierung wurde die Absicht angekündigt, Fürsorgegespräche mit Mitarbeitern führen zu wollen, bei denen vermehrt Krankheitstage auftreten.

Im Jahr 2018 fehlten nach den Abwesenheitsübersichten (Bl. 225 ff der Akte) von 45 Mitarbeitern insgesamt sieben Mitarbeiter mehr als 100 Tage krankheitsbedingt, weitere vier Mitarbeiter mehr als 50 Tage und weitere vier Mitarbeiter mehr als 30 Tage. Insgesamt sechs Mitarbeiter waren im Jahr 2018 an keinem Tag arbeitsunfähig erkrankt. Insgesamt schwankten die krankheitsbedingten Fehltage aller Mitarbeiter im Kalenderjahr 2018 zwischen 0 und 190 Tagen. Ferner fehlte noch eine Mitarbeiterin das ganze Jahr.

Der Beteiligte zu 2) führte im ersten Quartal des Jahres 2019 mit wenigstens sechs Mitarbeitern Fürsorgegespräche. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten dieser sechs Mitarbeiter schwankten im Jahr 2017 zwischen 4 und 135 Tagen. Im Jahr 2018 betrugen die krankheitsbedingten Fehlzeiten der sechs Mitarbeiter 14, 18, 20, 46, 53 und 102 Tage. Der letzte krankheitsbedingte Fehltag entfiel bei diesen Mitarbeitern auf einen Tag zwischen dem 04.08.und dem 01.12.2018.

Der Beteiligte zu 2) führte keine Fürsorgegespräche mit weiteren fünf Mitarbeitern mit krankheitsbedingten Fehlzeiten im Jahr 2018 zwischen 43 und 190 Tagen und einer Mitarbeiterin mit einer ganzjährigen krankheitsbedingten Abwesenheit. Bei dem Beteiligten zu 2) besteht die KBV Betriebliches Eingliederungsmanagement vom 11.05.2010 (Bl. 49 ff der Akte). Vier dieser fünf Mitarbeiter, mit denen kein Fürsorgegespräch geführt wurde, war ein BEM angeboten worden, das in zwei Fällen abgelehnt und in zwei Fällen durchgeführt wurde.

Die einheitlich gestalteten Einladungen (Bl. 8 der Akte) zu den Fürsorgegesprächen am 06.02.2019 datierten vom 19. und 24.01.2019.

Fünf Fürsorgegespräche wurden am 06.02.2019 geführt. Für den Beteiligten zu 2) wurden die Gespräche von der Verwaltungsleiterin und einem Mitarbeiter der Personalabteilung aus der Hauptverwaltung geführt. An vier dieser Gespräche nahm die Vorsitzende des Beteiligten zu 1) teil. Wenigstens ein sechstes Fürsorgegespräch fand am 11.03.2019 statt mit einer am 06.02.2019 verhinderten Mitarbeiterin. An diesem Gespräch nahm die stellvertretende Vorsitzende des Beteiligten zu 1) teil.

Die Gespräche verliefen unterschiedlich. Die Mitarbeiterin M. F. lehnte es ab, über ihre Krankheiten zu sprechen und das Gespräch war bald beendet. Die Mitarbeiterin G. K. nannte konkrete Krankheitsursachen und war interessiert an orga...

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