Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsfähigkeit. Erloschene Anstalt des öffentlichen Rechts. Betriebsbedingte Kündigung. Anhörung des Personalrats

 

Leitsatz (amtlich)

- Zur Rechtsfähigkeit einer nds. Anstalt des öffentlichen Rechts und ihrem liquidationslosen Erlöschen wegen der Gesamtsrechtsnachfolge des Landes

- Zur betriebsbedingten Kündigung eines wissenschaftlichen Mitarbeiters und der Beteiligung des Personalrats wegen der Auflösung der Anstalt des öffentlichen Rechts und der Schließung der von ihr betriebenen Forschungseinrichtung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Fehlerhaft errichtete Anstalten, die als rechtsfähig im Rechtsverkehr tatsächlich aufgetreten sind, müssen ebenso wie fehlerhaft errichtete Gesellschaften des privaten Rechts im Rechtsverkehr als rechtsfähig behandelt werden.

2. Eine betriebsbedingte Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst ist nur dann zulässig, wenn ansonsten ein sinnloses Arbeitsverhältnis gegebenenfalls bis zur Pensionierung des Arbeitnehmers allein durch Vergütungszahlungen aufrechterhalten würde.

 

Normenkette

VNV Art. 29 I, Art. 43 II; IfE-Auflösungsgesetz §§ 1-4; BGB § 46; NdsPersVG §§ 63, 64 IV; NdsPersVG § 65 II 9, § 65 III 3, § 66 I 12, § 75 I 13; BGB § 613a IV 1; SchG § 1K

 

Verfahrensgang

ArbG Braunschweig (Urteil vom 22.02.2002; Aktenzeichen 3 Ca 439/01)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 24.06.2004; Aktenzeichen 2 AZR 207/03)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 22.02.2002 – 3 Ca 439/01 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Bestand des Arbeitsverhältnisses des Klägers.

Der Kläger, geboren am, verheiratet, zwei Kindern unterhaltspflichtig, Diplom-Chemiker, war seit dem 01.09.1990 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am (IfE) in tätig (Tätigkeitsbeschreibung Bl. 236 d.A.). Er erhielt Vergütung nach Vergütungsgruppe I b BAT. Bis zum 05.10.2000 war er Mitglied des bei dem IfE gebildeten Personalrats. Grundlage seines Arbeitsverhältnisses war der am 10.07.1990 mit der Beklagten zu 1) geschlossene Arbeitsvertrag, der den Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT) und die ihn ergänzenden und ändernden Tarifverträge in Bezug nahm (Bl. 13 ff. d.A.).

Das Institut war ursprünglich im Jahr 1926 an der Technischen Universität H. mit Unterstützung der Privatindustrie gegründet worden. Der auf Grund Führererlasses vom 09.04.1942 als Anstalt des öffentlichen Rechts errichtete Reichsforschungsrat (RGBl. I, Seite 389) verfügte am 19.02.1943 durch seinen Vorsitzenden die Errichtung als Reichsforschungsinstitut für Erdölforschung (Anlage B 1 zum Schriftsatz vom 27.09.2001). Nach dem Untergang des Deutschen Reiches wurde das IfE von dem neugegründeten Land Niedersachsen, dem Beklagten zu 2), verwaltet. Im Mai 1951 wurde es im Rahmen des im März 1949 geschlossenen Königssteiner Staatsabkommens in die Gesamtländerfinanzierung übernommen.

Am 02.08.1956 beschloss das Niedersächsische Landesministerium, also das Landeskabinett, dem IfE die Rechte einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts zu verleihen und gab ihm eine Satzung (NdsMinBl. 1956, 688). Die vorliegend zu 1) verklagte Anstalt trat seitdem im Rechtsverkehr als eigene Rechtspersönlichkeit auf, ernannte Beamte, schloss mit ihren Arbeitnehmern im eigenen Namen Arbeitsverträge und erwarb in Grundeigentum, wohin sie im Jahr 1983 ihren Sitz verlegte. Nach der Satzung in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.03.1994 (NdsMinBl. 1994, 428) hatte sie als Organe das Kuratorium und den Direktor, wobei dem Kuratorium unter anderem die Einstellung und Entlassung der Angestellten der Vergütungsgruppe I a BAT und höher auf Vorschlag des Direktors (§ 5 lit. d IfE-Satzung) und dem Direktor unter anderem die Einstellung und Entlassung der Angestellten der Vergütungsgruppe I b BAT und niedriger (§ 6 Abs. 2 lit. c IfE-Satzung) sowie die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung (§ 6 Abs. 2 lit. d IfE-Satzung) oblagen.

Im Jahr 1977 wurde das IfE in die „Blaue Liste” der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (Rahmenvereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern über die gemeinsame Förderung der Forschung nach Art. 91 b GG, RV-Fo) aufgenommen. Zuwendungsgeber waren seitdem der Bund und die Länder je zur Hälfte, wobei das Land Niedersachsen auf Grund der Sitzlandquote ca. 39 % des Zuschussbedarfs trug. Am 14.07.1997 beschloss die Bund-Länder-Kommission gemäß § 7 Abs. 1 der Ausführungsvereinbarung zur RV-Fo (AV-FE) das Ausscheiden des IfE aus der gemeinsamen Förderung zum 31.12.1998. Unter dem 10.07.1998 teilte das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur (NMWK) der Bund-Länder-Kommission mit, dass seitens der Landesregierung entschieden worden sei, das IfE vollständig aufzulösen, da eine Fortführung mit zu hohen Restrisiken für den Landeshaushalt verbunden wäre. Am 02.09.1998 beschloss die Bund-Länder-Kommission auf Grund § 7 Abs. 4 A...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge