Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame Klausel zum Widerruf der Überlassung eines auch privat genutzten Dienstwagens aus wirtschaftlichen Gründen. Schadensersatzklage des Arbeitnehmers bei unzureichender Konkretisierung der wirtschaftlichen Gründe

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wegen der Ungewissheit der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens und der allgemeinen Entwicklung des Arbeitsverhältnisses hat die Arbeitgeberin grundsätzlich ein anerkennenswertes Interesse daran, bestimmte Leistungen (insbesondere “Zusatzleistungen„) flexibel auszugestalten. Dazu gehört auch die dem Arbeitnehmer eingeräumte Möglichkeit, ein überlassenes Dienstfahrzeug privat nutzen zu dürfen, wenn dadurch das Wirtschaftsrisiko des Unternehmers nicht auf den Arbeitnehmer verlagert wird.

2. Stellt die arbeitsvertragliche Verpflichtung der Arbeitgeberin, dem Arbeitnehmer einen Dienstwagen mit privater Nutzungsberechtigung zur Verfügung zu stellen, eine Hauptleistungspflicht des Arbeitsvertrages dar, ist die Möglichkeit, einen Dienstwagen im Rahmen des Arbeitsverhältnisses auch für Privatfahrten nutzen zu können, eine zusätzliche Gegenleistung für die geschuldete Arbeitsleistung. Das gilt insbesondere dann, wenn die Arbeitgeberin diese Regelung in die Anlage zum Arbeitsvertrag (“aufgeschlüsseltes Gehalt„) aufnimmt.

3. Werden Hauptleistungspflichten der Arbeitgeberin unter einen Widerrufsvorbehalt gestellt, bedarf es einer näheren Beschreibung des Widerrufsgrundes, der auch das Interesse des Arbeitnehmers an der Beibehaltung der Leistung berücksichtigt. Das Erhaltungsinteresse des Arbeitnehmers wiegt bei dem Wegfall gegenseitiger Pflichten ungleich schwerer als bei nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Pflichten (wie etwa Jubiläumszuwendungen, Beihilfen zu bestimmten Familienereignissen) oder solchen Pflichten, die die Umstände der Leistungserbringung betreffen.

4. Die Möglichkeit, ein Firmenfahrzeug privat zu nutzen, hat für den Arbeitnehmer alltägliche Auswirkungen, da er erforderlichenfalls kurzfristig erhebliche Kosten für die Anschaffung eines eigenen Fahrzeugs aufzubringen und dieses zukünftig zu unterhalten hat.

5. Nicht jeder Grund, der die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens betrifft, ist ein anzuerkennender Sachgrund für den Entzug der Dienstwagennutzung und der damit verbundenen privaten Nutzungsmöglichkeit. Für den Arbeitnehmer ist es typisierend betrachtet unzumutbar, die Entziehung aus wirtschaftlichen Gründen hinzunehmen, wenn der Dienstwagen für die auszuübende Tätigkeit gebraucht wird und kostengünstigere Alternativen (Mietwagen, Fahrzeugpool etc.) nicht vorhanden sind.

6. Eine Widerrufsklausel, die der Arbeitgeberin die grundsätzliche Möglichkeit der Dienstwagenentziehung einräumt (etwa bei Verlusten oder bereits bei rückläufigen Gewinnen), ohne dass die Tätigkeit, für deren Ausübung der Dienstwagen benötigt wird, entfallen ist und ohne dass die Arbeitgeberin von einer vorhandenen kostengünstigeren Alternative zu der bisherigen Dienstwagengestellung Gebrauch macht, ist unwirksam. Eine hinreichende Konkretisierung erfolgt nicht dadurch, dass die Klausel den Entzug des Dienstwagens nur erlaubt “sofern dies dem Arbeitnehmer zumutbar ist„, da mit dem Erfordernis der Zumutbarkeit lediglich der Wortlaut des § 308 Nr. 4 BGB wiederholt wird und auch eine beispielhafte Aufzählung sachlicher Gründe in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens keine Konkretisierung darstellt.

 

Normenkette

BGB §§ 280, 283, 305, 308 Nr. 4, § 280 Abs. 1 S. 1, § 283 S. 1, § 305 Abs. 1, § 307 Abs. 3 S. 1, § 611a

 

Verfahrensgang

ArbG Celle (Entscheidung vom 07.02.2017; Aktenzeichen 1 Ca 267/16)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Celle vom 07.02.2017 (1 Ca 267/16) teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.105,00 € brutto nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 165,00 € brutto seit dem 01.08.2016 und auf jeweils weitere 330,00 € brutto ab dem 01. des jeweiligen Folgemonats zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger einen Dienstwagen ihrer Wahl zur Verfügung zu stellen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab 01.02.2018 für die Dauer der Vorenthaltung eines Dienstwagens einen Schadensersatz von monatlich 330,00 € brutto zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 10% und die Beklagte zu 90% zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Widerruf eines auch zur Privatnutzung überlassenen Dienstwagens.

Der Kläger trat 2011 in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Im schriftlichen Arbeitsvertrag heißt es unter Ziffer 4., dass das "aufgeschlüsselte Gehalt" in einer Anlage 1 zum Arbeitsvertrag "besonders bekanntgegeben" wird. Ziffer 4. dieser Anlage lautet:

"SID stellt Herrn A. (...) einen Dienstwagen nach Wahl von SID zur Verfügung, der auch privat genutzt werden darf. ...

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