Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Materielle Reichweite einer in einem Arbeitsvertrag enthaltenen Ausschlussfrist für "alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis"

 

Leitsatz (amtlich)

Die in einem Formulararbeitsvertrag als Allgemeine Geschäftsbedingung enthaltene Ausschlussfrist von drei Monaten für "alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis" erfasst neben vertraglichen Schadensersatzansprüchen auch Ansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer wegen Haftung aus vorsätzlicher Pflichtverletzung (entgegen BAG, 20. Juni 2013, 8 AZR 280/12).

 

Normenkette

BGB § 687 Abs. 2, §§ 133, 157, 202 Abs. 1, §§ 280, 307 Abs. 1 S. 1, §§ 667, 823, 309 Nr. 7, § 681 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Hannover (Entscheidung vom 24.01.2018; Aktenzeichen 8 Ca 107/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 25.02.2021; Aktenzeichen 8 AZR 171/19)

BAG (Beschluss vom 09.10.2019; Aktenzeichen 8 AZN 562/19)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers und der Nebenintervenientin wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Hannover vom 24. Januar 2018 - 8 Ca 107/17 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Auf die Widerklage des Beklagten wird festgestellt, dass die Klägerin verpflichtet ist, dem Beklagten allen Schaden zu ersetzen, den dieser durch die Zwangsvollstreckung aus dem Arresturteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 1. Februar 2017 - 8 Ga 1/17 -, nämlich durch die erzwungene Abgabe der Vermögensauskunft gegenüber der Gerichtsvollzieherin G. vom 31. Mai 2017 und über die Eintragung der Vermögensauskunft in das Schuldnerverzeichnis des Gemeinsamen Vollstreckungsportals, erlitten hat und noch erleiden wird.

Die Kosten des Rechtsstreites einschließlich der Kosten der Nebenintervention hat die Klägerin zu tragen.

Soweit die Klage abgewiesen wurde, wird die Revision für die Klägerin zugelassen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht - zum Teil aus abgetretenem Recht - gegen den Beklagten Zahlungsansprüche aus Geschäftsanmaßung, Vertragsverletzung und unerlaubter Handlung geltend. Der Beklagte begehrt widerklagend die Feststellung einer Verpflichtung der Klägerin zum Ersatz des Schadens, der ihm durch die Vollziehung eines Arresturteiles entstanden sei.

Die börsennotierte Klägerin ist ein führendes deutsches Unternehmen der Automobilzuliefererbranche mit Sitz in A-Stadt. Der Konzern beschäftigt insgesamt rund 200.000 Mitarbeiter an über 200 Standorten in 53 Ländern. Zu den von der Klägerin hergestellten Produkten gehören auch Reifen für Kraftfahrzeuge.

Der Beklagte war von 2010 bis zum 30. Juni 2014 als SPRMF bei der Beklagten beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lag der Arbeitsvertrag vom 17. Dezember 2009 zugrunde. Darin heißt es unter anderem (Bl. 172 f. d. A.):

"...

§ 18 Ausschlussfristen

Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis sind innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen.

Im Falle des Ausscheidens beträgt die Ausschlussfrist einen Monat nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Ist ein Anspruch rechtzeitig erhoben worden und lehnt die Gegenseite seine Erfüllung ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb eines Monats nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt der Anspruch, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.

..."

Das Arbeitsverhältnis endete durch Eigenkündigung des Beklagten vom 9. Dezember 2013 zum 30. Juni 2014 (Bl. 178 d. A.).

Zu den Aufgaben des Beklagten zählte der Einkauf von Ruß, der als Füllstoff bei der Reifenproduktion verwendet wird. Für den Einkauf von Ruß erfolgt bei der Klägerin jedes Jahr eine Ausschreibung (Request For Quotation), mittels derer die Zielmengen und Preisformeln für die verschiedenen Anbieter von Ruß gefunden werden.

Die Klägerin bezieht Ruß über verschiedene Lieferanten, mit denen sie über Rahmenverträge verbunden ist. Diese Rahmenverträge werden nach einer vorherigen Ausschreibung mit einer Laufzeit von typischerweise zwei Jahren abgeschlossen. In ihnen werden jeweils die Lieferzielmengen vereinbart sowie eine Preisformel zur Ermittlung des Kaufpreises niedergelegt. Die niedergelegten Konditionen gelten dann einheitlich - bis zum Abschluss eines neuen Rahmenvertrages mit dem Lieferanten - für alle in der Reifenproduktion tätigen Unternehmen der Klägerin für den Bezug von Ruß als Füllstoff.

Der Beklagte verantwortete die Ausschreibungen und Verhandlungen im Rahmen seiner Tätigkeit für die Klägerin. Dabei führte er selbst und eigenverantwortlich die Verhandlungen mit den Lieferfanten. In Ausnahmefällen wurde aus verhandlungsstrategischen Gründen die Vorgesetzte des Beklagten Frau P hinzugezogen. Die Ergebnisse des Ausschreibungs- und Verhandlungsprozesses kommunizierte der Beklagte anschließend mit Entscheidungsvorschlägen an seine Vorgesetzten. Zur Entscheidung über den Abschluss der Rahmenverträge ist ein Gremium, der sogenannte "Sourcing Council", dem der Beklagte nicht angehörte, befugt. Dieses Gremium folgte in der Regel - sof...

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