Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung. sexuelle Belästigung. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Kündigung wegen sexueller Belästigung

 

Leitsatz (amtlich)

Nach den in § 12 Abs. 3 AGG übernommenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hat bei sexuellen Belästigungen der Kündigung des Arbeitsverhältnisses – von Extremfällen abgesehen – regelmäßig eine Abmahnung vorauszugehen. Sind mehrere Maßnahmen geeignet und möglich, die Benachteiligung infolge sexueller Belästigung für eine Arbeitnehmerin abzustellen, so hat der Arbeitgeber diejenige zu wählen, die den Täter am wenigsten belastet. Dies gilt umso mehr, wenn in der Dienststelle eine Dienstvereinbarung gilt, die gestufte Gegenmaßnahmen des Arbeitgebers für den Fall sexueller Belästigungen vorsieht.

 

Normenkette

KSchG § 1; AGG § 3 Abs. 4, § 2 Abs. 1, § 12 Abs. 3, §§ 1, 7; TVöD § 34

 

Verfahrensgang

ArbG Hannover (Urteil vom 25.01.2008; Aktenzeichen 7 Ca 399/07 Ö)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 25. Januar 2008 – 7 Ca 399/07 – Ö – abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24. Juni 2007 nicht zum 31. März 2008 beendet worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.135,00 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,00 EUR netto Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2008 und weitere 2.135,00 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,00 EUR netto Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2008 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 24. Juli 2007 zum 31. März 2008 ausgesprochene ordentliche fristgemäße Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt ist. Hintergrund der Kündigung ist die dem Kläger vorgeworfene sexuelle Belästigung der Zeugin A., die zusammen mit anderen Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern ab Anfang Juni 2007 für ca. 8 Wochen bei der beklagten Stadt tätig war. Der Kläger fordert mit seiner Klage weiterhin seine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens sowie für die Monate April und Mai die Zahlung seiner Bruttomonatsbezüge von monatlich 2.135,00 EUR brutto abzüglich empfangenen Arbeitslosengeldes.

Der am 0.0.1969 geborene Kläger ist seit dem 6. November 1993 bei der Beklagten als Gärtner auf dem Betriebshof (Abteilung 4.4 in der Gruppe Straßenbegleitgrün) beschäftigt. Seit Anfang Juni 2007 arbeitete der Kläger zur Anweisung und Einleitung mit einer Gruppe von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern (Frau G. A., Herr A. G. und Herr P. S.) zusammen, die von der beklagten Stadt für die Urlaubszeit beschäftigt wurden. Der Kläger besaß für diese Gruppe keine Vorarbeiterstellung, leitete jedoch als langjährig beschäftigter Stammarbeitnehmer die Mitarbeiter an, teilte sie ein und fuhr auch das Dienstfahrzeug. Vorarbeiter war für den Kläger und diese Gruppe Herr V. H..

Nach Aussage der Zeugin A. kam es seit ihrer Beschäftigungsaufnahme am 13. Juni 2007 immer wieder zu sexuell anzüglichen Bemerkungen des Klägers ihr gegenüber. Als Beispiele wurden genannt:

„Er würde mich auch nicht von der Bettkante stoßen.

Es ist schade, dass Du schon vergeben bist.

(bezogen auf die 4 Kinder) poppt ihr den ganzen Tag nur herum?

Hat Dein Mann eine Gummiallergie?

Wenn Du es nicht wärst, müsstest Du viel mehr arbeiten.

(Bezogen auf die Arbeitshaltung – aus gesundheitlichen Gründe – eine Bückhaltung) Wie hättest Du es denn am liebsten?”

Am 3. Juli 2007 fuhr der Vorarbeiter V. H. Frau A. zu ihrem Einsatzort in der Kolonne des Klägers, weil diese sich in Folge eines Bahnstreiks verspätet hatte. Dabei fragte er sie, ob ihr die Arbeit Spaß mache. Frau A. erwiderte, dass sie sich nicht wohl fühle, weil sie vom Kläger schlecht behandelt werde. Als der Kläger in der Mittagszeit mit dem Dienstfahrzeug auf den Betriebshof fuhr um Grünschnitt zu entladen, wurde er vom Vorarbeiter H. auf die Äußerung der Frau A. zur schlechten Behandlung angesprochen. Der Kläger äußerte sich zu diesem Vorwurf emotional aufgebracht und erklärte, dass er mit Frau A. reden würde.

Am 3. Juli 2007 sprach der Kläger die Zeugin A., die sich bei der Arbeit bücken musste, an und sagte ihr „Dich würde ich auch gerne von hinten ficken”. Als andere Kollegen der Zeitarbeitsfirma, die das gehört hatten, sich über diese Beleidigung der Zeugin A. empörten, erklärte der Kläger, er habe lediglich gesagt: „Bist du gut zu vögeln? Ich gebe auch immer frisches Wasser”. Der Kläger entschuldigte sich sodann wegen dieser Äußerungen.

Nach Rückkehr vom Betriebshof und dem Gespräch mit dem Vorarbeiter H. kehrte der Kläger erregt zur Arbeitsstelle zur...

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