Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsbedingte Kündigung. Lebensalter. Sonderkündigungsschutz. Sozialauswahl. Tariflicher Sonderkündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer in der Textilindustrie Westfalen. Tariflicher Sonderkündigungsschutz für ältere Beschäftigte in der Textilindustrie Westfalen. unwirksame betriebsbedingte Kündigung bei unsubstantiierten Darlegungen der Arbeitgeberin zur Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Durchbrechung des tariflichen Sonderkündigungsschutzes für ältere Arbeitnehmer in der Textilindustrie Westfalen in "anderen sachlich begründeten Fällen" findet nicht stets dann statt, wenn die kündigungsauslösende Maßnahme die Qualität eine Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG hat. Vorraussetzung ist vielmehr, dass die Weiterbeschäftigung der zur Kündigung ausgewählten älteren Arbeitnehmer in einem Maße erschwert oder unmöglich ist, wie dies bei Betriebsstilllegungen oder Betriebsteilstilllegungen der Fall ist.

 

Normenkette

KSchG § 1; TV Sicherung § 2; BGB § 611 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Osnabrück (Entscheidung vom 12.09.2012; Aktenzeichen 4 Ca 156/12)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 05.06.2014; Aktenzeichen 2 AZR 418/13)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 12.09.2012 - 4 Ca 156/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

Tatbestand :

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung, die die Beklagte dem Kläger gegenüber mit Schreiben vom 29.03.2012 ausgesprochen hat.

Der am 00.00.1952 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 19.04.1993 bei der Beklagten als Maschinenführer zuletzt zu einem Bruttomonatseinkommen von ca. 2.500,00 € beschäftigt. Der Kläger war im Bereich Ausrüstung tätig. Dort war er eingesetzt an der Senge, an der Babcock und an der Benninger-Waschmaschine.

Im Frühjahr 2012 beschäftigte die Beklagte noch ca. 225 Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmer. Bei der Beklagten ist ein Betriebsrat gebildet.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der "Tarifvertrag zur Sicherung älterer Arbeitnehmer" vom 23. Mai 1974 Anwendung, welcher zwischen dem Verband der Textilindustrie Westfalen und der damaligen Gewerkschaft Textil-Bekleidung B-Stadt abgeschlossen worden ist (künftig: TV-Sicherung). § 2 dieses Tarifvertrages lautet:

"Kündigungsschutz

1. Einem gewerblichen Arbeitnehmer kann nach Vollendung des 55. Lebensjahres und einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von mindestens zehn Jahren bis zur Bewilligung des Altersruhegeldes, längstens jedoch bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres das Beschäftigungsverhältnis nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden.

Bei Betriebsstilllegungen ist die ordentliche Kündigung erst zum Zeitpunkt der endgültigen Produktionseinstellung zulässig.

2. Wenn der Betriebsrat nicht widerspricht, kann von Ziffer 1 abgewichen werden:

a) bei Stilllegung wesentlicher Betriebsteile,

b) in anderen sachlich begründeten Fällen.

Erhebt der Betriebsrat Widerspruch, so hat er diesen sachlich zu begründen. Kommt zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat keine Einigung zustande, so werden die Tarifparteien angerufen. Bleiben auch deren Einigungsbemühungen erfolglos, so steht der Rechtsweg offen. (...)"

Vor dem Hintergrund einer deutlich verringerten Auslastung der Produktionsanlagen der Beklagten unterzeichneten die Betriebsparteien am 28.03.2012 einen Interessenausgleich mit Namensliste. Die "Namensliste Kündigungen" weist 50 zu kündigende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer namentlich aus. Der Kläger ist als Ziffer 1 der Namensliste aufgeführt.

Mit Schreiben vom 29.03.2012 kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis unter Bezugnahme auf die tarifliche Kündigungsfrist mit Wirkung zum 31.05.2012. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner am 13.04.2012 bei Gericht eingegangen Kündigungsschutzklage. Seit dem 01.06.2012 bezieht der Kläger Arbeitslosengeld.

Der Kläger hat bestritten, dass sein Arbeitsplatz weggefallen sei und dass die Beklagte eine ordnungsgemäße Sozialauswahl durchgeführt habe. Insbesondere der zum Kündigungszeitpunkt des Klägers erst 43 Jahre alte Mitarbeiter A. weise eine erheblich kürzere Betriebszugehörigkeit auf und sei damit sozial deutlich weniger schützenswert. Der Kläger hat die ordnungsgemäße Durchführung der Betriebsratsanhörung, das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige sowie die feste Verbindung zwischen dem Interessenausgleich und der Namensliste bestritten. Der Kläger hat sich auf den besonderen Kündigungsschutz nach dem TV-Sicherung berufen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.03.2012 nicht beendet worden ist,

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Maschinenführer weiter zu beschäft...

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