Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmungsrecht bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens im Betrieb gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Mitbestimmungsfreie Regelungen zum Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer. Abgrenzung des Mitbestimmungsrechts bei Mischtatbeständen nach dem Regelungszweck der Maßnahme. Mitbestimmungsfreies Verbot der privaten Smartphone-Nutzung während der Arbeitszeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Zweck des Mitbestimmungsrechts ist es, die Arbeitnehmer hieran zu beteiligen. Sie sollen an der Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens gleichberechtigt teilnehmen.

2. Regelungen und Weisungen, welche die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisieren - sogenanntes Arbeitsverhalten -, sind nicht mitbestimmungspflichtig, sondern gehören zum Organisations- und Verantwortungsbereich des Arbeitgebers.

3. Wirkt sich eine Maßnahme zugleich auf das Ordnungs- und das Arbeitsverhalten aus, kommt es darauf an, welcher Regelungszweck überwiegt. Entscheidend ist der jeweilige objektive Regelungszweck. Dieser bestimmt sich nach dem Inhalt der Maßnahme sowie nach der Art des zu beeinflussenden betrieblichen Geschehens.

4. Beschäftigte, die ihr privates Smartphone nutzen, können regelmäßig keine Arbeitsleistung erbringen. Der Blick auf das Telefon, dessen Entsperren und die weitere Beschäftigung damit verhindern, dass die Beschäftigten ihrer Arbeit nachgehen. Ein Verbot der Smartphone-Nutzung betrifft also das Arbeitsverhalten, nicht aber das betriebliche Zusammenleben der Beschäftigten.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 17.03.2022; Aktenzeichen 6 BV 15/21)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 17.10.2023; Aktenzeichen 1 ABR 24/22)

 

Tenor

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 17.03.2022 (Az.: 6 BV 15/21) wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Weisung, die private Nutzung von Mobiltelefonen/Smartphones (im Folgenden nur Smartphone) während der Arbeitszeit zu unterlassen, ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht.

Die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin ist ein produzierender Betrieb im Bereich der Automobilzulieferindustrie. Sie beschäftigt ca. 200 Mitarbeiter, davon ca. 120 Beschäftigte in der direkten und ca. 55 Beschäftigte in der indirekten Produktion. Davon sind ca. 14 Personen in der Materialbereitstellung tätig (z. B. als Gabelstapler-Fahrer). Der Beteiligte zu 1) ist der bei der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat.

Unter dem 18.11.2021 wies die Arbeitgeberin durch die Werksleitung per Aushang im Wege einer Mitarbeiterinformation zu dem Thema "Regeln zur Nutzung privater Handys während der Arbeitszeit" auf folgendes hin:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit weisen wir darauf hin, dass jede Nutzung von Mobiltelefonen/Smartphones zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit nicht gestattet ist. Sofern gegen dieses Verbot verstoßen wird, ist mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen - bis hin zur fristlosen Kündigung - zu rechnen."

Sowohl in der direkten, als auch in der indirekten Produktion kann es an einigen Arbeitsplätzen zu Leerlaufzeiten kommen. In der direkten Produktion kommt dies beispielsweise dann vor, wenn ein Maschinenumbau notwendig ist und vom Maschinenbediener der Button "Warten auf Einrichter" gedrückt wird. Auch im Bereich Versand und Wareneingang fallen Wartezeiten an, in denen auf einen neuen Arbeitsvorgang gewartet wird. In solchen Leerlaufzeiten reagiert die Arbeitgeberin teilweise, indem sie die betroffenen Beschäftigten anderweitig einsetzt. Auch gibt es teilweise Nebenarbeiten, die von den Beschäftigten selbstständig - ohne Anweisung im Einzelfall - ausgeführt werden können, wie beispielsweise das Aufräumen des Arbeitsplatzes oder das Nachfüllen von Verbrauchsmaterial.

Mit Schreiben vom 23.11.2021 forderte der Betriebsrat unter Hinweis auf einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand die Arbeitgeberin auf, die Maßnahme unverzüglich zurückzunehmen und zu unterlassen, was die Arbeitgeberin ablehnte. In seiner Sitzung vom 03.12.2021 beschloss der Betriebsrat die Einleitung eines Beschlussverfahrens zur Klärung der Frage.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin habe es zu unterlassen, das ohne seine Beteiligung ausgesprochene Verbot aufrechtzuerhalten. Sein Mitbestimmungsrecht folge aus dem Umstand, dass zumindest auch das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betroffen sei. Die Nutzung eines Smartphones kollidiere nicht notwendigerweise und zwingend mit der arbeitsvertraglichen Pflichterfüllung.

Der Betriebsrat hat beantragt,

1. der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, die Nutzung von Mobiltelefonen/Smartphones zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit zu verbieten, solange der Betriebsrat dem Verbot nicht zugestimmt hat oder die fehlende Zustimmung des Betriebsrates durch den Spruch der Einigun...

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