Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmungsrecht bei Einführung von Selbstbedienungskassen. Betriebsänderung. Offensichtliche Unzuständigkeit Einigungsstelle. Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden

 

Leitsatz (amtlich)

Die Einsetzung einer Einigungsstelle scheitert nicht daran, dass es ggf. an ausgleichspflichtigen wirtschaftlichen Nachteilen fehlt. Im Rahmen des Interessenausgleichsversuchs sind gem. § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG wirtschaftliche Nachteile gesetzlich unterstellt. Die Gestaltung des Interessenausgleichs im Zusammenhang mit der teilweisen Einführung sog. Selbstbedienungskassen kann überdies noch zum Eintritt wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer führen.

 

Normenkette

ArbGG § 98; BetrVG § 111 S. 3 Nr. 5

 

Verfahrensgang

ArbG Nienburg (Beschluss vom 19.02.2009; Aktenzeichen 3 BV 1/09)

 

Tenor

Die Beschwerde der Arbeitgeberin und Bet. zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nienburg vom 19. Februar 2009 – 3 BV 1/09 – wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob im Zusammenhang mit dem Wegfall von neun der achtzehn Kassen und Einrichtung von sogenannten Selbstbedienungskassen (ECO-Blöcke) sowie der Auflösung bzw. Veränderung des Kassenbüros eine Einigungsstelle zur Verhandlung über einen Interessenausgleich und Sozialplan einzurichten ist.

Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) betreibt am Standort A-Stadt ein großes Einrichtungshaus mit etwa 250 Beschäftigten. Im Bereich der Kassen und des Kassenbüros arbeiten zur Zeit zusammen etwa 46 Beschäftigte.

Die Beteiligten haben Einvernehmen über den ggf. einzusetzenden Vorsitzenden der Einigungsstelle sowie der Zahl der Beisitzer mit je drei pro Seite erzielt. Sie sind aber unterschiedlicher Auffassung, ob es sich bei den Veränderungen um eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung handelt oder nicht. Zumindest seit Anfang Dezember 2008 hat der Betriebsrat Fragen zur Einführung der ECO-Kassen und der Auflösung der Kassenbüros an die Arbeitgeberin gerichtet und darauf innerhalb der bis zum 13. Januar 2009 gesetzten Frist keine Antwort von der Arbeitgeberin erhalten. Unter anderem hat der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats mit Schreiben vom 22. Dezember 2008 (Bl. 10 d. A.) die eigene Rechtsauffassung, dass es sich bei den Umstrukturierungen im Kassenbereich um eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG handele, angezeigt und die Arbeitgeberin aufgefordert Entwürfe zu einem Interessenausgleich und einen Sozialplan vorzulegen. Die Arbeitgeberin hat im Anhörungstermin erster Instanz ihre Rechtsauffassung beibehalten, dass es sich bei den Umstrukturierungen nicht um eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG handele.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 19. Februar 2009 den Anträgen des Betriebsrats entsprochen und erkannt:

„Es wird eine Einigungsstelle zum Themenbereich „Betriebsänderung/Veränderung des Kassenbereichs durch Einführung der ECO-Kassen” und „Betriebsänderung/Veränderung des Kassenbüros” zur Beschlussfassung über einen Interessenausgleich und Sozialplan bei der Beteiligten zu 2) eingerichtet.

Als Vorsitzender der Einigungsstelle wird der stellvertretende Direktor des Arbeitsgerichts Braunschweig, Dr. P1, bestimmt. Die Zahl der Beisitzer wird auf drei pro Seite festgelegt.”

Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, dass nach dem vorliegenden Sachverhalt sowohl eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation und der Betriebsanlagen (§ 111 S. 3 Nr. 4 BetrVG) als auch eine Einführung einer grundlegenden neuen Arbeitsmethode (§ 111 S. 3 Nr. 5 BetrVG) gegeben sei. Der Kassenbereich stelle für das Einrichtungshaus der Arbeitgeberin einen wesentlichen Bestandteil dar. Die Ersetzung eines Teils der bislang vorhandenen Kassen durch drei sogenannte ECO-Blöcke bedeute, dass etwa rund die Hälfte der bislang an den Kassen eingesetzten 40 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine erhebliche Änderung ihres Tätigkeitsbild erfahren werde. Die Arbeitgeberin habe insoweit eingeräumt, dass in Zukunft deutlich weniger Personal im Kassenbereich benötigt werde. Zwar plane die Arbeitgeberin keine Entlassungen; auf Grund der Erläuterungen der Arbeitgeberseite könnten aber einige der bislang an den Kassen eingesetzten Mitarbeiter von einer Versetzungsmaßnahme betroffen werden. Damit sei wiederum eine erhebliche Änderung des Tätigkeitsbilds verbunden. Die an die neu zu errichtenden ECO-Blöcken eingesetzten Arbeitnehmer würden nun schwerpunktmäßig mit der Bedienung bzw. mit der Hilfe zur Bedienung der ECO-Blöcke beschäftigt werden. Dazu sei das Erlernen bzw. die Vermittlung von besonderen Wissen erforderlich. Das Anforderungsprofil wechsele also auch hier in einen wesentlich mehr beratenen und dienstleistungsorientierten Bereich. Die völlige Auflösung der Kassenbüros im Verlauf des Jahres 2009 führe weiterhin dazu, dass die dort tätigen Mitarbeiter in andere Bereiche versetzt werden müssten. Auch wenn die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer voraussichtlich keine wirtschaftlichen Nachteile in Form...

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