Entscheidungsstichwort (Thema)

Verstoß gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz durch sozialplanmäßige Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern im Rahmen einer Gesamtvereinbarung zwischen Betriebsparteien und Gewerkschaft. Unbegründete Zahlungsklage eines nichtorganisierten Arbeitnehmers auf erhöhte Entgelt- und Abfindungszahlungen unter Ausschluss gebotener Anpassung wegen rechtwidriger Erhöhung des Gesamtvolumens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Betriebspartner verstoßen gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 I BetrVG, wenn sie eine Sozialplanregelung vereinbaren, die Teil einer Gesamtvereinbarung zwischen Betriebsrat, Arbeitgeber und Gewerkschaft ist und diese Gesamtvereinbarung de facto zu einer von der Gewerkschaft gewünschten Besserstellung ihrer Mitglieder führt.

2. Ein Anspruch auf erhöhte Abfindungs- und Transferentgeltzahlungen ist nicht aus einem Sozialplan i.V.m. dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 I BetrVG abzuleiten, wenn eine gebotene Korrektur des Sozialplans zu einer unzulässigen Erhöhung seines Gesamtvolumens führen würde. Eine solche liegt bei einer Erhöhung der Leistungen an einzelne Arbeitnehmer um 10 bis 15 % und für die Hälfte der Arbeitnehmer vor.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; BetrVG § 75 Abs. 1; TVG § 3 Abs. 2; BetrVG § 77 Abs. 4, § 112 Abs. 1 Sätze 2-3

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 22.01.2013; Aktenzeichen 25 Ca 8657/12)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 22.01.2013 - 25 Ca 8657/12 - wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Klagepartei Ansprüche aus einem Ergänzungstransfer- und Sozialtarifvertrag zustehen sowie über die korrekte Berechnung der Transfervergütung.

Die Klagepartei war seit dem 16.10.1990 bei der Beklagten zu 2. bzw. deren Rechtsvorgängerinnen mit einer monatlichen Bruttovergütung von zuletzt 6.962,00 € beschäftigt. Sie ist seit Juli 2012 Mitglied der Gewerkschaft IG Metall. Die Beklagte zu 1.) ist die gebildete Transfergesellschaft.

Im Januar 2012 beschloss die Beklagte zu 2.), den Betrieb in A-Stadt, St.-M.-Str. zu schließen. Nach Darstellung der Beklagten meldeten sich daraufhin der Betriebsrat und die IG Metall bei der Beklagten zu 2.) mit dem Angebot, zügige Verhandlungen mit dem Ziel des zumindest teilweisen Erhalts des Standorts zu führen. Als Bedingung für Zugeständnisse gegenüber der Beklagten zu 2.) wurde der Abschluss eines Standortsicherungs- und Tarifsozialplans gestellt. Die Beklagte zu 2.) verlangte ihrerseits als zwingende Bedingung, den tariflichen Sonderkündigungsschutz nach § 8 Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie durch die Vereinbarung einer vom Betriebsrat getragenen Namensliste nach § 1 Abs. V KSchG aufzuheben. Ca. 668 Arbeitnehmer waren per 31.01.2012 Mitglied der IG Metall und flächendeckend vergleichbar nach § 1 Abs. 3 KSchG. Daneben machte die Beklagte zu 2.) ein Zustimmungsquorum von 90 % der von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Voraussetzung für den teilweisen Standorterhalt. Im Gegenzug für diese Zugeständnisse bestand die IG Metall darauf, dass die Beklagte zu 2.) den in der IG Metall organisierten Arbeitnehmern günstigere Bedingungen in der geplanten Transfergesellschaft gewährte. Die Eckpunkte dieser Vereinbarung fasste die IG Metall am 22.03.2012 im Internet zusammen. Danach sollten ca. 2.000 Arbeitsplätze am Standort A-Stadt, St.-M.-Str., erhalten bleiben, ca. 1.450 Arbeitnehmer in eine Transfergesellschaft wechseln und weitere 150 Arbeitnehmer in Altersteilzeit gehen. Für Nichtgewerkschaftsmitglieder gäbe es 70 % des Gehalts, für Gewerkschaftsmitglieder 80 %. Bei Übertritt in die Transfergesellschaft sollte ein Jahresgehalt gezahlt werden, wobei Gewerkschaftsmitglieder 10.000,00 € zusätzlich bekämen. Weiter hieß es in der Verlautbarung:

"Der Betriebsrat muss (und wird) die Umorganisation zum 1.4. durchwinken (wie erwartet, das hat indirekt die gleiche Wirkung wie eine Namensliste, weil man da schon passend vorsortiert wird). ..."

Am 04.04.2012 schlossen die Beklagte zu 2.) und die IG Metall, Bezirksleitung Bayern, einen "Transfer- und Sozialtarifvertrag", der u. a. den Wechsel der von der Entlassung bedrohten Arbeitnehmer der Beklagten zu 2.) in die "Transfergesellschaft der S. AG" bzw. die hiesige Beklagte zu 1.) - als betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit (beE) gemäß § 216b SGB III - regelte. In diesem Tarifvertrag sind Geltungsbereich und Vergütung wie folgt bestimmt:

"§ 1 Geltungsbereich

Dieser Tarifvertrag gilt

...

(2) Persönlich: Für alle Beschäftigten des Betriebes St.-M.-Str. in A-Stadt, sofern sie die individuellen Voraussetzungen für den Anspruch auf Transferkurzarbeitergeld gemäß den §§ 169 ff SGS III erfüllen.

...

§ 5 Mindestbedingungen der Transferarbeitsverhältnisse

Der Übertritt in die...

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