Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksamer Widerrufsvorbehalt zur regelmäßigen Wochenarbeitszeit bei einseitiger Vorgabe durch die Arbeitgeberin. Feststellungsklage des Arbeitnehmers zur Unwirksamkeit einer Änderung der Arbeitsbedingungen durch Widerruf

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine einseitig vom Arbeitgeber vorgegebene Regelung in einer Zusatzvereinbarung über die regelmäßige individuelle Wochenarbeitszeit, die den Arbeitgeber berechtigt, diese regelmäßige individuelle Wochenarbeitszeit aus Auslastungsgründen, aufgrund innerbetrieblicher Umstrukturierung oder wegen fehlender Einsatzmöglichkeiten in der konkreten Arbeitsaufgabe zu widerrufen mit der Folge, dass dann die betriebliche Arbeitszeit gilt, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen i.S.d. § 307 I 1, II Nr. 1 BGB und ist unwirksam. Dies gilt selbst dann, wenn ein Widerrufsvorbehalt auch zugunsten des Arbeitnehmers bei Vorliegen persönlicher Belange vorgesehen ist.

2. Darüber hinaus ist eine solche Regelung nach § 307 I 2 BGB unwirksam, wenn sie auf eine arbeitsvertragliche Regelung verweist, in der sich der Arbeitgeber die Änderung der dann geltenden betrieblichen Arbeitszeit vorbehalten hat.

 

Normenkette

BGB §§ 307, 308 Nr. 4, § 310 Abs. 3 Nr. 2; KSchG §§ 1-2; BGB § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, § 611 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 1, 3, § 2 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 23.10.2013; Aktenzeichen 43 Ca 4213/13)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 23.10.2013 - 43 Ca 4213/13 - abgeändert und wie folgt gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit dem Widerruf vom 21.03.2013 rechtsunwirksam ist.

2. Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit dem Widerruf vom 27.05.2013 rechtsunwirksam ist.

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Monate Mai, Juni und Juli 2013 1.052,54 € brutto zu zahlen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte durch Ausübung eines ihr vorbehaltenen Widerrufs die individuelle regelmäßige Wochenarbeitszeit des Klägers auf die betriebsübliche Arbeitszeit reduzieren kann sowie über die sich bei Unwirksamkeit des Widerrufs ergebenden Vergütungsdifferenzansprüche des Klägers.

Der Kläger ist seit 01.02.2012 bei der Beklagten, die Softwaresysteme im militärischen und zivilen Bereich entwickelt und vertreibt, als Senior-Sicherheitsingenieur im Fachgebiet Bundeswehr des Geschäftsbereichs Logistik Militär/Behörden beschäftigt. Der seitens der Beklagten vorformulierte Arbeitsvertrag vom 09.12.2011 enthält zur Arbeitszeit folgende Regelung:

"4. Die regelmäßige betriebliche Arbeitszeit beträgt derzeit 36 Stunden ausschließlich der Pausen pro Woche. Die ESG behält sich eine Änderung der betrieblichen Arbeitszeit vor.

...

Sie verpflichten sich, auf Anordnung ggf. auch Über- und Mehrarbeit, sowie Wochenend-, Sonn- und Feiertagsarbeit im gesetzlich zulässigen Rahmen zu leisten."

Nach Ziffer 14 des Arbeitsvertrages finden auf das Arbeitsverhältnis ausschließlich die betrieblichen Regelungen der Beklagten - Betriebsvereinbarung, Organisationsrichtlinien, Rundschreiben und Mitteilungen - in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung, soweit dieses Arbeitsverhältnis vom jeweiligen Anwendungsbereich der Regelung erfasst ist.

Ebenfalls unter dem 09.12.2011 fertigte die Beklagte eine "Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag", die hinsichtlich der Arbeitszeit und Vergütung Folgendes bestimmte:

"1. Es gilt mit Wirkung vom 01.02.2012 eine individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden.

2. Sie erhalten eine dieser Arbeitszeit entsprechende monatliche Vergütung...

3. Diese individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kann von beiden Seiten mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende schriftlich widerrufen werden. Sie können den Widerruf erklären, wenn Sie dies aufgrund persönlicher Belange wünschen. Die ESG kann den Widerruf erklären, wenn aus Auslastungsgründen, aufgrund innerbetrieblicher Umstrukturierung oder wegen fehlender Einsatzmöglichkeiten in der konkreten Arbeitsaufgabe eine Anpassung der Arbeitskräfte-Kapazität angezeigt ist.

4. Nach dem Widerruf gilt für Sie die betriebliche Arbeitszeit, verbunden mit einer entsprechenden Gehaltsreduzierung."

Die Beklagte übersandte dem Kläger sowohl den Arbeitsvertrag wie auch die Zusatzvereinbarung zur Unterschrift.

Am 10.03.2010 veröffentlichte die Beklagte im Intranet unter "Betriebsüblichen Arbeitszeit - Widerrufsfrist bei einzelvertraglicher Verlängerung", dass eine betriebsübliche Arbeitszeit für Mitarbeiter, für die die Betriebsvereinbarung 1/2007 gelte, von 38 Wochenstunden, für Mitarbeiter, für die die Betriebsvereinbarung 1/2007 nicht gelte, von 36 Wochenstunden bestehe. Durch Einzelvertrag könnten bis zu 40 Wochenstunden vereinbart werden, die beiderseits mit einer Widerrufsfrist von einem Monat zum Monatsende wieder auf die be...

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