Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtswidrige Regelungen einer Geschäftsordnung des Betriebsrats zur Stimmenthaltung und Führung eines Tätigkeitsbuches durch nicht vollständig freigestellte Betriebsratsmitglieder

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gemäß § 36 BetrVG werden in einer schriftlichen Geschäftsordnung des Betriebsrats sonstige Bestimmungen über die Geschäftsführung getroffen.

2. Mit sonstigen Bestimmungen über die Geschäftsführung des Betriebsratsrats im Sinne des § 36 BetrVG sind allein formale Verfahrensregelungen zur Ordnung der internen Betriebsratsarbeit und damit der technischen Festlegung von Verfahrensabläufen gemeint, wobei der Rahmen durch die zwingenden gesetzlichen Bestimmungen der §§ 26 ff. BetrVG gezogen ist, die durch die Geschäftsordnung des Betriebsrats nicht geändert, sondern nur näher ausgestaltet und ergänzt werden können; auch zusätzliche Pflichten oder Aufgaben können in einer Geschäftsordnung nicht begründet werden.

3. Nicht zu den auf der Rechtsgrundlage des § 36 BetrVG in einer Geschäftsordnung des Betriebsrats regelbaren sonstigen Bestimmungen über dessen Geschäftsführung gehören Regelungen zum Inhalt des Abstimmungsvorganges selbst; die Regelung einer Geschäftsordnung des Betriebsrats, wonach bei Beschlussfassungen des Betriebsrats "Stimmenthaltungen .. nicht zulässig" sind, ist unwirksam.

4. Auch die in einer Geschäftsordnung des Betriebsrats normierte Verpflichtung der einzelnen (nicht nach § 38 BetrVG vollständig freigestellten) Betriebsratsmitglieder zur Dokumentation durchgeführter Betriebsratsarbeit in einem Tätigkeitsbuch ist keine in einer solchen Geschäftsordnung nach deren Rechtsgrundlage in § 36 BetrVG allein regelbare Bestimmung über die Geschäftsführung des Betriebsrats (Betriebsratsgremiums); das einzelne Betriebsratsmitglied ist nach der gesetzlichen Regelung nicht verpflichtet, gegenüber dem Betriebsrat als Organ Rechenschaft über seine individuelle Betriebsratstätigkeit abzulegen.

 

Normenkette

BetrVG §§ 36-38

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 20.11.2014; Aktenzeichen 30 BV 192/14)

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Betriebsrats und Beteiligten zu 3 und der Beteiligten zu 2., 4., 5. und zu 7. bis 16. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 20. November 2014 - 30 BV 192/14 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer 1. des Beschlusses nunmehr klarstellend lautet:

Es wird festgestellt, dass der Ausschluss einer Stimmenthaltung bei der Beschlussfassung des Betriebsrats gemäß § 8 Nr. 2 Satz 2 der Geschäftsordnung des Betriebsrats i. d. F. vom 04.02.2014 rechtsunwirksam ist.

II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten über die Rechtswirksamkeit von zwei Bestimmungen der Geschäftsordnung des Betriebsrats und Beteiligten zu 3 des vorliegenden Verfahrens (zur Auflistung/Nummerierung der Beteiligten ist darauf hinzuweisen, dass - anders als im Tenor des verkündeten Beschlusses ausgewiesen, der von der im Anhörungstermin am 19.05.2015 hinsichtlich des Antragsstellers und Beteiligten zu 2, B., und des Beteiligten zu 12, M., erfolgten Teileinstellung des Verfahrens ausgeht und diese unberücksichtigt lässt - hier aus rubrums- und argumentationspragmatischen Gründen weiter von der bisherigen Beteiligtensituation und Reihenfolge der Beteiligten ausgegangen wird: der Betriebsrat wird sonach unverändert als Beteiligter zu 3 bezeichnet, die Arbeitgeberin als Beteiligte zu 4 usw.).

Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 sowie die Beteiligten zu 5 bis 18 sind Mitglieder des im Betrieb der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 4 bestehenden Betriebsrats als Beteiligten zu 3 dieses Verfahrens. In der auf § 36 BetrVG basierenden Geschäftsordnung des Betriebsrats sind - (auch) in dessen Neufassung vom 04.02.2014 (Anl. BR 5, Bl. 20 - 36 d. A.) - u. a. folgende Regelungen hinsichtlich der Unzulässigkeit einer Stimmenthaltung bei der Beschlussfassung des Betriebsrats und der notwendigen Dokumentation individuell durchgeführter Betriebsratsarbeit enthalten:

"...

§ 8 Beschlussfassung des Betriebsrats

...

2. Liegt nur ein Antrag vor, werden die Ja- und Neinstimmen abgezählt und in der Niederschrift vermerkt. Stimmenthaltungen sind nicht zulässig. ...

...

§ 16 Freistellung nach § 37 Abs. 2 BetrVG

...

Durchgeführte Betriebsratsarbeit ist im Tätigkeitsbuch zu dokumentieren. Die Dokumentation muss so gestaltet sein, dass erkennbar ist, um welche Art von Betriebsratstätigkeit es sich handelt. Die Dokumentation dient der Beweisführung für die Erforderlichkeit der Betriebsratstätigkeit. ...

..."

Die Beteiligte zu 1 ist Mitglied des Betriebsrats und macht als - nach Ausscheiden des ursprünglichen weiteren Antragstellers/Betriebsratsmitglieds und bisherigen Beteiligten zu 2 aus dem Arbeitsverhältnis und damit dem Betriebsrat, weshalb das vorliegende Verfahren insoweit eingestellt wurde: einzig verbliebene - Antragstellerin die Rechtsunwirksamkeit dieser beiden, tradierten, Bestimmungen der Geschäftsordnung des Betriebsrats im Wesentlichen mit der Begründung geltend, dass...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge