Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtliche Einordnung der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine arbeitsvertragliche Bezugnahme auf kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien kann nicht wie eine Bezugnahme auf Tarifverträge, die vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 01.01.2002 vereinbart wurde, als Gleichstellungsabrede ausgelegt werden. Eine Bezugnahme auf Arbeitsvertragsrichtlinien kann nicht das Ziel haben, den Mitarbeiter einem aus anderen Gründen an diese Richtlinien gebundenen Arbeitnehmer gleichzustellen.

2. Ist in der Präambel eines Arbeitsvertrages mit einem kirchlichen Arbeitgeber die Zugehörigkeit der Einrichtung zum Diakonischen Werk erwähnt, lässt sich daraus nicht ohne weiteres eine Bedingung herleiten, dass hiervon die dynamische Anwendbarkeit der Arbeitsvertragsrichtlinien abhängt.

3. Der Austritt des Arbeitgebers aus dem Diakonischen Werk steht einer dynamischen Anwendbarkeit der Arbeitsvertragsrichtlinien regelmäßig nicht entgegen. Der Sinn und Zweck einer Bezugnahme auf Arbeitsvertragsrichtlinien führt nicht zwangsläufig zu einer nur noch statischen Anwendbarkeit der zu diesem Zeitpunkt geltenden Arbeitsvertragsrichtlinien.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 613a; RL 2001/23/EG Art. 3; AVR DW EKD; AVR DD

 

Verfahrensgang

ArbG Stralsund (Entscheidung vom 24.06.2015; Aktenzeichen 2 Ca 142/13)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.07.2019; Aktenzeichen 6 AZR 40/17)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 24.06.2015 - 2 Ca 142/13 - abgeändert.

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 01.01.2013 Vergütung nach der Entgeltgruppe 7, Erfahrungsstufe 2, der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland in der jeweils gültigen Fassung zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin rückständige Vergütung für die Monate Januar 2013 bis Januar 2015 in Höhe von € 11.827,33 brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe des ab Januar 2013 zu zahlenden Gehalts, insbesondere darüber, ob die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR DW EKD) - 2014 umbenannt in Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie in Deutschland (AVR DD) - in ihrer jeweils geltenden Fassung, also dynamisch, oder aber nur noch statisch auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind.

Die 1966 geborene Klägerin ist seit dem 01.09.1986 im Krankenhaus A-Stadt beschäftigt. Sie bezieht Kindergeld für ein im Jahr 2000 geborenes Kind. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 30 Stunden.

Die Klägerin schloss am 20.04.1993 mit der L.-Hospital gGmbH, der damaligen Betreiberin des Krankenhauses A-Stadt, einen Änderungsvertrag, in dem es heißt:

"...

D i e n s t v e r t r a g

zwischen ...

-Dienstgeber-

und Frau ...

-Mitarbeiter-

Diakonie ist Wesens- und Lebensäußerung der Evangelischen Kirche. Die Evangelische Kirche nimmt ihre diakonischen Aufgaben durch das Diakonische Werk wahr. Die oben genannte Einrichtung ist dem Diakonischen Werk angeschlossen. Sie dient der Verwirklichung des gemeinsamen Werkes christlicher Nächstenliebe. Alle Mitarbeiter dieser Einrichtung leisten deshalb ihren Dienst in Anerkennung dieser Zielsetzung und bilden ohne Rücksicht auf ihre Tätigkeit und Stellung eine Dienstgemeinschaft.

Auf dieser Grundlage wird der nachstehende Vertrag geschlossen:

§ 1

Frau ... tritt ... als Krankenschwester in den Dienst des ... mit 100 % der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Mitarbeiters.

...

§ 2

Für das Dienstverhältnis gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung. Sie sind als Anlage beigefügt.

..."

Die L.-Hospital gGmbH gründete zusammen mit der C.-Diakoniewerk gGmbH, die das Krankenhaus im rund 30 km von A-Stadt entfernten B-Stadt betrieb, die beklagte Gesellschaft, seinerzeit firmierend unter "Kliniken A-Stadt-B-Stadt gGmbH". Die Beklagte trat dem "Diakonisches Werk - Landesverband - in der Pommerschen Evangelischen Kirche e. V." bei. Sie übernahm zum 01.04.2003 die beiden Krankenhäuser im Wege eines Betriebsübergangs. Aus diesem Anlass schloss sie zusammen mit den übertragenden Gesellschaften und den dort gebildeten Mitarbeitervertretungen den folgenden

"Personalüberleitungsvertrag

...

Präambel

Die sich verändernden Rahmenbedingungen im Sozial- und Gesundheitswesen machen Anpassungsmaßnahmen erforderlich. Daher werden die bestehenden Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krankenhauses B-Stadt der C. Diakoniewerk B-Stadt g.GmbH und der L. Hospital A-Stadt g.GmbH in die Gesellschaft übergeleitet. Grundlage der Überleitung ist der § 613a BGB. Darüber hinaus gelten die Bestimmungen dieses Vertrag...

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