Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsatz des Verhinderungsfalls bei Entgeltfortzahlung wegen Krankheit. Neue Entgeltfortzahlung erst bei abgeschlossener erster Arbeitsunfähigkeit. Notwendiger Zeitraum zwischen zwei Erkrankungen. Kategorisierung von zwei Erkrankungen innerhalb einer Sechswochenfrist als Verhinderungsfall

 

Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls auch dann auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht hingegen, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führt. Das ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat.

 

Normenkette

EFZG §§ 3-4, 4a; BGB § 315; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Schwerin (Entscheidung vom 06.01.2021; Aktenzeichen 1 Ca 1081/20)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 06.01.2021 - 1 Ca 1081/20 - in Gestalt des Berichtigungsbeschlusses vom 17.05.2021 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie die Zahlung eines zusätzlichen Urlaubsgeldes.

Die im Oktober 1979 geborene Klägerin nahm am 01.08.1996 bei der Beklagten eine Ausbildung auf und wurde im Anschluss daran als kaufmännische Sachbearbeiterin in ein Arbeitsverhältnis übernommen. Die Beklagte stellt Schilder, insbesondere für den Straßenverkehr, her und beschäftigt zwischen 30 und 40 Mitarbeiter. Die Klägerin war zuletzt als Sachbearbeiterin im Verkauf tätig.

Der Arbeitsvertrag vom 19.11.2002 enthält folgende Regelungen:

"...

Urlaub

Urlaubsdauer sind zur Zeit 30 Arbeitstage pro Kalenderjahr. ...

...

Urlaubsgeld

Es beträgt 50% des Grundlohnes für die entsprechenden Urlaubstage und ist eine freiwillige Zuwendung. Bei fristloser Entlassung besteht kein Anspruch auf Urlaubsgeld. Im Eintrittsjahr wird anteiliges Urlaubsgeld nach Erfüllung der Wartezeit gewährt. Im Austrittsjahr wird anteiliges Urlaubsgeld gewährt (1/12 für jeden vollen Beschäftigungsmonat). Tritt der Arbeitnehmer vor Ablauf des Kalenderjahres und nach Zahlung des Urlaubsgeldes aus der Firma aus, so muss zu viel gezahltes Urlaubsgeld zurückerstattet werden.

...

...

Gratifikationen

Die Zahlung von Sondervergütungen wie Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und ähnlichen Zuwendungen liegt im freien Ermessen der Firma und begründet keinen Rechtsanspruch für die Zukunft, auch wenn die Zahlung wiederholt und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgt.≪ABS≫≪ABS≫ Sondervergütungen können für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit um bis zu einem Viertel des Arbeitsentgeltes gekürzt werden.

..."

Im Jahr 2017 erhielt die Klägerin folgende Urlaubsgeldzahlungen:

Juni 2017

€ 447,25 brutto

Dezember 2017

€ 164,78 brutto

2018/2019 war die Klägerin in Elternzeit, die am 27.04.2019 endete. Mit Wirkung zum 28.04.2019 vereinbarten die Parteien durch Änderungsvertrag vom 20.02.2019 eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden mit festen Arbeitszeiten von 08:00 Uhr bis 14:45 Uhr montags bis freitags. Laut Änderungsvertrag beläuft sich das monatliche Gehalt ab dem 28.04.2019 auf € 2.000,- brutto. Des Weiteren zahlte die Beklagte einen Arbeitgeberzuschuss vermögenswirksame Leistungen in Höhe von € 22,50 monatlich.

Im Jahr 2019 erhielt die Klägerin folgende Urlaubsgeldzahlungen:

Juni 2019

€ 346,14 brutto

Dezember 2019

€ 346,15 brutto

Im Jahr 2020 war die Klägerin zunächst in folgenden Zeiträumen arbeitsunfähig:

Zeiträume

Arbeitstage

02.03.2020 bis 04.03.2020

3

16.03.2020 bis 03.04.2020

15

Am Montag, 20.04.2020, suchte die Klägerin ihre Hausärztin, die Fachärztin für Allgemeinmedizin S., auf. Die Hausärztin stellte nach ICD-10 die Diagnose "M62.88 Myofasziales Schmerzsyndrom im Schulter-Nackenbereich beidseits" und verordnete Physiotherapie. Im Anschluss daran stellte die Hausärztin mehrere Folgebescheinigungen mit derselben Diagnose aus. Die letzte Bescheinigung endete mit dem 29.05.2020, dem Freitag vor Pfingsten. Insgesamt erstreckte sich die Arbeitsunfähigkeit über 28 Arbeitstage. Gegenüber der Ärztin beklagte sich die Klägerin u. a. über die Belastung als Alleinerziehende und das geringe Verständnis des Arbeitgebers.

Am 02.06.2020, dem Dienstag nach Pfingsten, erschien die Klägerin wieder zur Arbeit. Gegen 10:00 Uhr kam der Geschäftsführer der Beklagten auf sie zu und bat sie zu einem Gespräch in sein Büro. Der Verlauf dieses Gesprächs wird von den Parteien unterschiedlich dargestellt. Gegen 12:00 Uhr desselben Tages kam es zu einem weiteren Gespräch zwischen der Klägerin und dem Geschäftsführer der Beklagten im Büro der Klägerin, dessen Inhalt ebenfalls streitig ist. Im Anschluss daran verlie...

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