Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden wegen Arbeitsverweigerung und zugespitzter Kritik am Verhalten der Arbeitgeberin in einer veröffentlichten E-Mail-Nachricht. Unbegründeter Zustimmungsersetzungsantrag bei Versäumung der Kündigungsfrist aufgrund unsachgemäßer Organisation des Betriebes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Betreibt ein Arbeitgeber mit seinem Unternehmen deutschlandweit mehrere Betriebe in der Art, dass die Kündigungsberechtigung im Sinne von § 626 Absatz 2 BGB zentral durch eine Person oder Personengruppe am Unternehmenssitz wahrgenommen wird, liegt eine unsachgemäße Organisation des Betriebes im Sinne von BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - AP Nr. 51 zu § 626 BGB Ausschlussfrist vor, wenn die Weisung besteht, Kündigungssachverhalte zunächst vollständig vor Ort aufzuklären und erst den vollständig aufgeklärten Sachverhalt der kündigungsberechtigten Person vorzulegen.

2. Teilt der Betriebsratsvorsitzende dem Arbeitgeber mit, er könne in seinem dienstlich geführten elektronischen Kalender für einen bestimmten Tag keinen weiteren Termin mehr aufnehmen, weil er die freie Zeit zwischen den bereits gebuchten Terminen für Betriebsratsarbeit benötige, handelt er im Regelfall nicht pflichtwidrig, wenn er einen danach vom Arbeitgeber dennoch eingetragenen zusätzlichen dienstlichen Termin nicht wahrnimmt.

3. Erfolgt die Nutzung des betrieblichen IT-Systems durch Anmeldung im Netz mit Nutzernamen und Passwort, kann allein aus der Verwendung des Computers eines anderen Mitarbeiters für das Einloggen im System noch nicht geschlossen werden, dass der Arbeitnehmer damit versucht haben müsse, auf fremde ihm an sich nicht zugängliche Daten zugreifen zu wollen.

4. Auch dann, wenn eine Handlung eines Betriebsratsmitglieds gleichzeitig Amtspflichten als auch arbeitsvertragliche Pflichten verletzt oder aber die Vertragsverletzung nur deshalb eingetreten ist, weil der Arbeitnehmer als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist, kann ein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB vorliegen (LAG Mecklenburg-Vorpommern 27. November 2013 - 3 Sa 101/13). Mit Rücksicht auf die besondere Konfliktsituation, in der sich das Betriebsratsmitglied aufgrund seiner Amtsstellung ohnehin befindet, ist die außerordentliche Kündigung aber nur gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabs das pflichtwidrige Verhalten auch als schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist (BAG 23. Oktober 2008 - 2 ABR 59/07 - AP Nr. 58 zu § 103 BetrVG 1972 = DB 2009, 1131). Das gilt auch für den Fall einer scharfen und zugespitzten Kritik des Betriebsratsvorsitzenden an dem Verhalten des Arbeitgebers in einer Mail, die auch vielen Personen außerhalb des Betriebes zugänglich gemacht wurde.

 

Normenkette

KSchG § 15; BetrVG § 103; BGB § 241 Abs. 2, § 626 Abs. 1-2; BetrVG § 37 Abs. 2; GG Art. 5

 

Verfahrensgang

ArbG Stralsund (Entscheidung vom 01.04.2015; Aktenzeichen 13 BV 3002/14)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der beteiligten Arbeitgeberin wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die beteiligte Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) verlangt, dass die vom beteiligten Betriebsrat (Beteiligter zu 2) verweigerte Zustimmung zur Kündigung ihres Vorsitzenden (Beteiligter zu 3) durch das Gericht nach § 103 Absatz 2 BetrVG ersetzt wird.

Die Arbeitgeberin betreibt im gesamten Bundesgebiet Kliniken. In C-Stadt auf der Insel U. betreibt sie eine Rehabilitationsklinik für Innere Medizin, Orthopädie und Psychosomatik mit etwas über 100 Arbeitnehmern. Die ranghöchsten Arbeitnehmer der beteiligten Arbeitgeberin vor Ort sind die Chefärzte der drei medizinischen Abteilungen und der kaufmännische Direktor des Hauses.

Der 48-jährige Betriebsratsvorsitzende ist seit April 2012 als Psychologe in der Klinik tätig. Bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden erzielt er eine monatliche Arbeitsvergütung in Höhe von rund 3.420,00 Euro brutto. Zu seinen Arbeitsaufgaben gehört die Behandlung von Patienten auf der Grundlage von Therapieplänen. Er gehört dem Betriebsrat seit dem 13. November 2012 an. Er ist nicht im Sinne von § 38 BetrVG freigestellt.

Die beteiligte Arbeitgeberin beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis zu dem beteiligten Betriebsratsvorsitzenden außerordentlich zu kündigen.

Der Betriebsratsvorsitzende hat am 27. Oktober 2014 Gelegenheit erhalten, zu den beiden älteren seinerzeit allein im Raum stehenden Vorwürfen gegen ihn Stellung zu nehmen (Protokoll dazu als Anlage 6 zur Antragsschrift zur Akte gelangt, hier Blatt 21 f). Danach hat die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 28. Oktober 2014 beim beteiligten Betriebsrat beantragt, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ihres Vorsitzenden zu erteilen. Die Zustimmung ist vom beteiligten Betriebsrat nicht innerhalb von drei Kalendertagen erteilt worden. Daraufhin hat die beteiligte Arbeitgeberin das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet. Die Antragsschrift ist beim Arbeitsgericht...

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