Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsbußenordnung als Teil des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats. Auslegung einer Erklärung des Arbeitgebers als Betriebsbuße oder Abmahnung anhand allgemeiner Regeln. Mitbestimmungspflichtige Betriebsbuße bei Äußerung des Arbeitgebers mit Strafcharakter. Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei unwirksamer Betriebsbuße mangels Betriebsbußenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG umfasst - soweit es in diesem Fall bejaht wird - sowohl die Aufstellung einer Betriebsbußenordnung als Voraussetzung für die Ahndung von Verstößen gegen die betriebliche Ordnung als auch die Verhängung der Betriebsbuße im Einzelfall.

2. Ob eine Rüge des Arbeitgebers im Einzelfall als bloße Abmahnung vertragswidrigen Verhaltens oder Betriebsbuße anzusehen ist, bedarf im Zweifel der Auslegung der Erklärung unter Berücksichtigung ihres Wortlauts, ihres Gesamtzusammenhangs und ihrer Begleitumstände.

3. Eine mitbestimmungspflichtige Betriebsbuße liegt vor, wenn die Erklärung des Arbeitgebers über die Geltendmachung eines Gläubigerrechts auf vertragsgemäßes Verhalten des Arbeitnehmers einschließlich der Androhung individualrechtlicher Konsequenzen für den Wiederholungsfall hinausgeht und Strafcharakter annimmt, wenn also das beanstandete Verhalten geahndet werden soll.

4. Jede Betriebsbuße setzt eine mitbestimmte Betriebsbußenordnung voraus, die den Anforderungen hinsichtlich der ausreichenden Bestimmtheit bußbewährter Tatbestände und der verwirkten Buße genügt.

5. Besteht keine Betriebsbußenordnung und ist die Verhängung einer Betriebsbuße deshalb unwirksam, kann der Betriebsrat nicht Mitbestimmung an dieser unwirksamen Maßnahme verlangen. Ihm steht deshalb auch kein Unterlassungsanspruch zur Verhinderung von Betriebsbußen zu.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 626 Abs. 1; ArbGG § 72 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Schwerin (Entscheidung vom 09.02.2021; Aktenzeichen 6 BV 11/20)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Schwerin vom 09.02.2021 zum Az.: 6 BV 11/20 wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A

Die Beteiligten streiten um die Unterlassung der Nutzung einer "gelben Karte" gegenüber in den Betrieben der Beteiligten zu 2) und 3) Beschäftigten.

Der Beteiligte zu 1) ist der gemeinsame Betriebsrat, der von den Beteiligten zu 2) und 3) geführten Betriebe. Die Beteiligten zu 2) und 3) nutzen seit September 2019 die sog. "gelbe Karte", die folgendermaßen gestaltet ist:

ICH HABE DIESE KARTE BEKOMMEN, DA ICH GEGEN BESTEHENDE REGELN VERSTOßEN HABE.

ICH VERSTEHE, DA DIESE KARTE ALS ERMAHNUNG FÜR MICH GILT.

BEi EINEM WEITEREN GLEICHEN VERSTOß, KANN MIR EINE ABMAHNUNG GEGEBEN WERDEN.

Datum: ______________

übergeben durch ____________________

ICH HABE GEGEN FOLGENDE REGEL VERSTOßEN:

□ LSR □ Verhaltensregeln

□ PSA □ schriftliche Anweisungen

□ sonstiges

Vorfall _________________________________________

_______________________________________________

Name: _______________________

Datum: ____________________

Unterschrift. ___________________________

Nach erfolglosen Gesprächen der Beteiligten zur Einführung dieser "gelben Karte", der von den Beteiligten zu 2) und 3) unbeantwortet gebliebenen schriftlichen Aufforderung des Beteiligten zu 1), die Einführung bzw. Nutzung der "gelben Karte" unverzüglich zu unterlassen, solange nicht mit ihm eine entsprechende Vereinbarung geschlossen ist bzw. er der Einführung und Nutzung zugestimmt hat, der erneuten schriftlichen Aufforderung des Beteiligten zu 1) vom 30.04.2020, die Nutzung bzw. Einführung der "gelben Karte" zu unterlassen, haben die Beteiligten zu 2) und 3) erwidert, es werde mit der "gelben Karte" ein vertragswidriges Verhalten gerügt, weshalb eine betriebliche Mitbestimmung nicht eröffnet sei.

Der Beteiligte zu 1) hat die Auffassung vertreten, es bestehe ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, weil das betriebliche Zusammenleben und das kollektive Zusammenwirken betroffen seien. In der Einführung und Nutzung der "gelben Karte" liege ein mitbestimmungspflichtiges Ordnungsverhalten, weil diesen Maßnahmen kollektiv beeinflussender Charakter zukomme. Es sei die gesamte Belegschaft betroffen. Die "gelbe Karte" sei dazu bestimmt und geeignet, in der gesamten Belegschaft das Miteinander bestimmend zu beeinflussen. Sie sei unter den Begriff der Betriebsbuße zu subsumieren. Eine solche ahnde einen Verstoß gegen die betriebliche Ordnung. Sie ginge über das hinaus, was den Beteiligten zu 2) und 3) an individualrechtlichen Mitteln zur Verfügung stehe, um auf ein Verhalten der Arbeitnehmer*innen zu reagieren, das sie als Verletzung von Pflichten des Arbeitnehmers ansehen, und ebenfalls über den sich aus einer Er- bzw. Abmahnung ergebenden Sanktionscharakter, da sie das Ansehen der Arbeitnehmer*innen in der Betriebsöffentlichkeit mindern könnte. Es solle nicht nur der direkte Vorgesetzte Einsicht/Information erhalten, wem eine "gelbe Karte" e...

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