Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonderleistungen. Unklarheitenregel. Betriebsvereinbarung. Tarifvertrag. Ablöseprinzip. Über-Kreuz-Ablösung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Hinweis im Arbeitsvertrag auf die im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarungen beinhaltet nur eine deklaratorische Verweisung auf die ohnehin unmittelbar und zwingend geltenden Betriebsvereinbarungen.

2. Mit dem Inkrafttreten einer entsprechenden tariflichen Regelung endet die Geltung der Betriebsvereinbarung für alle tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer.

3. Die Geltung des Ablöseprinzips verstößt nicht gegen die nach Art. 9 Abs. 3 GG geschützte negative Koalitionsfreiheit der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer.

4. Zum Geltungsbereich der sog. Über-Kreuz-Ablösung.

5. Der Arbeitgeber ist nicht aufgrund des Gleichheitssatzes verpflichtet, den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern, die eine arbeitsvertragliche Bezugnahme des gesamten Tarifrechts ablehnen, Sonderleistungen entsprechend den Regeln der abgelösten Betriebsvereinbarung oder nach den Regeln des nunmehr geltenden Tarifvertrages zu leisten.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3; BetrVG § 77 Abs. 3 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Urteil vom 12.11.2009; Aktenzeichen 8 Ca 10800/08)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 13.03.2012; Aktenzeichen 1 AZR 659/10)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 12.11.2009 – AZ: 8 Ca 10800/08 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob durch Betriebsvereinbarungen geregelte Ansprüche auf Jahressonderleistungen, Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leistungen nach Abschluss eines abändernden Tarifvertrages an den nicht tarifgebundenen Kläger weiterhin zu gewähren sind.

Der Kläger ist aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 13./18. Mai 1980 seit dem 1. Juli 1980 zunächst bei dem T R e.V. beschäftigt gewesen. Am 1. Januar 1996 fand ein Betriebsübergang nach § 613 a BGB auf die Beklagte statt.

Beim T R e. V. waren in Betriebsvereinbarungen Ansprüche der Arbeitnehmer auf Jahressonderleistungen, Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leistungen geregelt.

In dem Arbeitsvertrag aus dem Jahr 1980 ist dazu vereinbart:

„Außer der unter Ziff. 3 genannten monatlichen Bruttovergütung erhält der Mitarbeiter ein Weihnachts- und Urlaubsgeld nach den Bestimmungen der Betriebsvereinbarungen des T R …

Für das Arbeitsverhältnis gelten im Übrigen die Bestimmungen der Betriebsvereinbarungen des T R., soweit ihre Anwendung auf den Mitarbeiter nicht nach Inhalt oder persönlichem Geltungsbereich entfällt …”

Durch Einigungsstellensprüche vom 16. November 1999 wurden die Regelungen über Jahressonderleistungen, Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leistungen modifiziert. Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Klageverfahren durch Urteil vom 14. August 2001 – 1 AZR 619/00 – die Rechtswirksamkeit der Sprüche bestätigt.

Unter dem 25. Mai 2004 schloss der A D ( ) e.V., dem die Beklagte zwischenzeitlich beigetreten war, mit der Gewerkschaft ver.di einen Manteltarifvertrag, einen Tarifvertrag über Jahressonderzahlungen sowie einen Überleitungstarifvertrag, die zum 1. Juni 2004 in Kraft traten.

In diesen Tarifverträgen werden zwar die Ansprüche auf Jahressonderleistungen, Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leistungen im Wesentlichen ähnlich geregelt. Jedoch enthält das Tarifwerk Bestimmungen über eine Flexibilisierung der Arbeitszeit einschließlich Samstagsarbeit und leistungsbezogene Vergütungsbestandteile. Der Kläger sieht insbesondere folgende wesentlichen Verschlechterungen seiner Arbeitsbedingungen: Einführung eines Jahresarbeitszeitkontos mit flexibler Arbeitszeitverteilung, Erhöhung der Obergrenze der wöchentlichen Arbeitszeit auf 48 Stunden und daraus resultierender Wegfall bzw. Verringerung von zuschlagpflichtiger Überarbeit.

Durch Schreiben vom 26. Mai 2004 unterrichtete die Beklagte die Arbeitnehmer über die abgeschlossenen Tarifverträge und wies darauf hin, dass die Tarifnormen an die Stelle der bisher durch Betriebsvereinbarungen geregelten Arbeitsbedingungen treten würden und diese, soweit sie thematisch gleiche Regelungen hätten, vollständig ablösen würden. Zugleich bot sie den Arbeitnehmern, die wie die Kläger nicht der Gewerkschaft ver.di angehören, die folgende arbeitsvertragliche Änderung an:

„Für das Arbeitsverhältnis gelten im Übrigen die Bestimmungen der Betriebsvereinbarungen und der für das Unternehmen jeweils geltenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung, soweit diese auf den Mitarbeiter/die Mitarbeiterin fachlich, räumlich und persönlich anzuwenden sind.”

Dies lehnte der Kläger mit der Schreiben vom 6. Januar 2005 mit der Begründung ab, es handle sich um individualisierte Ansprüche nach Betriebsübergang, die nicht durch Tarifverträge, die auf ihr Arbeitsverhältnis nicht anwendbar seien, abgelöst werden könnten.

In der Folgezeit gewährte die Beklagte dem Kläger weder die Jahressonderleistung, noch Urlaubsgeld, noch vermögenswirksame Leistungen.

Mit der vorl...

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