Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigungsschutzprozess. schwerbehinderter Mensch. Zustimmungsbescheid. Integrationsamt. Verwaltungsgerichtsverfahren. Aussetzung. Restitutionsklage

 

Leitsatz (amtlich)

1.) Hat das Verwaltungsgericht erster Instanz den Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen gem. § 85 SGB IX als rechtswidrig aufgehoben, so ist die auf den Zustimmungsbescheid gestützte Kündigungserklärung als schwebend unwirksam anzusehen.

2.) Die Arbeitsgerichte aller Instanzen sind im Kündigungsschutzprozess an die verwaltungsgerichtliche Entscheidung gebunden. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren ist für den Kündigungsschutzprozess vorgreiflich i. S. v. § 148 ZPO.

3.) Die Entscheidung darüber, ob der Kündigungsschutzprozess gem. § 148 ZPO ausgesetzt wird, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des mit ihm befassten Arbeitsgerichts. Ist gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil erster Instanz die Berufung zugelassen und der Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ungewiss, ist im Zweifel dem Beschleunigungsgrundsatz der Vorrang einzuräumen und von einer Aussetzung abzusehen.

4.) Der Arbeitgeber ist – ebenso wie der Arbeitnehmer in der umgekehrten Konstellation – durch die Möglichkeit der Restitutionsklage geschützt, falls der Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes zur Kündigung in einer höheren verwaltungsgerichtlichen Instanz wiederhergestellt werden sollte. In diesem Fall kann sich der Arbeitgeber weiterhin formalrechtlich auf die seinerzeit ausgesprochene Kündigung berufen.

 

Normenkette

ZPO §§ 148, 580; ArbGG §§ 61a, 64; SGB IX §§ 85, 91

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Urteil vom 23.04.2009; Aktenzeichen 17 Ca 5133/08)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 23.05.2013; Aktenzeichen 2 AZR 991/11)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 23.04.2009 in Sachen 17 Ca 5133/08 abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bei dem Beklagten durch die Kündigung des Beklagten vom 06.06.2008 nicht aufgelöst worden ist.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen verhaltensbedingten arbeitgeberseitigen Kündigung vom 06.06.2008.

Der am …1958 geborene Kläger ist seit dem 01.11.1992 bei dem Beklagten als Elektriker beschäftigt. Er ist nach § 34 Abs. 2 TVöD unkündbar.

Seit Januar 1998 war bei dem Kläger ein Grad der Behinderung von 40 % festgestellt worden. In der Zeit vom 30.06.2004 bis 31.12.2006 war der Kläger einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt worden. Seit August 2007 liegt bei dem Kläger ein Grad der Behinderung von 60 % vor. Dem liegt neben anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ein psychisches Leiden zugrunde.

Am 06.06.2008 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nach zuvor erteilter Zustimmung des Integrationsamtes außerordentlich und fristlos. Als Kündigungsgrund machte der Beklagte in erster Linie geltend, dass der Kläger haltlose Vorwürfe gegen Vorgesetzte erhoben und diese im Kölner Stadt-Anzeiger publik gemacht habe.

Der Kläger erhob gegen die Kündigung am 23.06.2008 die vorliegende Kündigungsschutzklage. Gegen den Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes legte der Kläger Widerspruch ein. Dieser wurde mit Bescheid des Widerspruchsausschusses vom 01.09.2008 zurückgewiesen. Der Kläger erhob daraufhin Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht Köln.

Mit Urteil vom 23.04.2009 wies die 17. Kammer des Arbeitsgerichts Köln die Kündigungsschutzklage des Klägers ab. Zur Begründung führte das Arbeitsgericht aus, dass es nach durchgeführter Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt sei, dass die vom Beklagten erhobenen Vorwürfe in tatsächlicher Hinsicht zuträfen und in rechtlicher Hinsicht eine außerordentliche Kündigung rechtfertigten. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 23.04.2009 wird Bezug genommen.

Der Kläger hat gegen das arbeitsgerichtliche Urteil, welches ihm am 18.09.2009 zugestellt wurde, am 05.10.2009 Berufung eingelegt und diese am 16.11.2009 begründet.

Der Kläger wendet sich weiterhin aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen gegen die streitige Kündigung vom 06.06.2008. Insbesondere beruft sich der Kläger auch darauf, dass die Kündigung vom 06.06.2008 nach §§ 85, 91 Abs. 1 SGB IX nichtig sei, da es an einem rechtswirksamen Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes fehle.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 23.04.2009, 17 Ca 5133/08, aufzuheben und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bei dem Beklagten durch die Kündigung des Beklagten vom 06.06.2008 nicht aufgelöst wurde.

Der Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält an seinen Kündigungsgründen fest, verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und vertritt die Auffassung, dass der Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes vom 05.06.2008 nicht zu beanstanden sei.

In der ersten mündlichen Ve...

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