Entscheidungsstichwort (Thema)

Pauschale Abfindung für Schwerbehinderte in Sozialplan. Diskriminierung schwerbehinderter Arbeitnehmer. Verstoß gegen AGG. Folgen eines rechtwidrigen Sozialplans

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Sozialplanregelung, welche für schwerbehinderte Arbeitnehmer eine pauschale Abfindung vorsieht, während die Abfindungshöhe nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer in Abhängigkeit von Betriebszugehörigkeit, Entgelthöhe und Rentennähe berechnet wird, ist wegen Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung schwerbehinderter Menschen nach § 7 Abs. 2 iVm. §§ 1, 7 Abs. 1 AGG unwirksam, wenn sie dazu führt, dass die Abfindung für einen wesentlichen Teil der Gruppe der schwerbehinderten Arbeitnehmer geringer ausfällt als die der nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer mit gleicher Betriebszugehörigkeit und gleichem Alter bei gleicher Entgelthöhe.

2. Eine Sozialplanregelung, welche Mitarbeiter wegen der Möglichkeit des Bezugs einer Altersrente als Vollrente von jeder Abfindungsleistung ausschließt, führt zu einer "verdeckten" unmittelbaren Benachteiligung schwerbehinderter Arbeitnehmer, wenn bereits die nur diesen eröffnete Möglichkeit zum früheren Renteneintritt den Anspruchsausschluss zur Folge hat.

3. Die teilweise Unwirksamkeit der Sozialplanregelung hat zur Folge, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer Zahlung einer Abfindung in der Höhe verlangen kann, wie sie ein nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer mit gleicher Betriebszugehörigkeit, gleichem Entgelt und gleichem Alter verlangen könnte.

 

Normenkette

AGG § 7 Abs. 2; BetrVG § 75 Abs. 1; AGG § 7 Abs. 1, §§ 5, 10; Richtlinie 2000/78 EG Art. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 05.02.2013; Aktenzeichen 13 Ca 5641/12)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 5. Februar 2013, Az. 13 Ca 5641/12 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.
  3. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berechnung einer Sozialplanabfindung.

Der am .1950 geborene und mit einem Grad der Behinderung von 70 % schwerbehinderte Kläger war vom 01.05.1980 bis zum 31.03.2012 bei der Beklagten beschäftigt. Sein letztes Bruttomonatsentgelt betrug 3.852,00 EUR. Aufgrund der Stilllegung der Betriebsabteilung, in welcher der Kläger beschäftigt gewesen war, schied er zum 31.03.2012 aus dem Unternehmen aus. Die Betriebsparteien des Beschäftigungsbetriebes hatten zuvor unter dem 18.07.2011 einen Sozialplan mit folgenden Regelungen vereinbart:

"§ 1 Geltungsbereich

1. Diese Vereinbarung findet auf alle Mitarbeiter im Sinne des §§ 5 Abs. 1 des B Anwendung, die am 01.03.2011 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis standen und von der Stilllegung der Frischedienstorganisation zum 31.03.2012 betroffen sind.

2. ...

3. Für Mitarbeiter, die zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf eine gesetzliche Vollrente wegen Alters oder wegen voller, unbefristeter Erwerbsminderung haben, kommt der Sozialplan nicht zur Anwendung.

§ 2 Abfindungen bei betriebsbedingtem Arbeitsplatzverlust

1. Mitarbeiter, die betriebsbedingt auf Veranlassung des Arbeitgebers ihren Arbeitsplatz verlieren, haben einen Anspruch auf eine Abfindung, die nach folgender Formel berechnet wird:

Betriebszugehörigkeit x Monatsentgelt x Faktor = Abfindung

Das Monatsentgelt im Sinne der Abfindungsklausel setzt sich zusammen aus ...

Mitarbeiter, die aufgrund einer Schwerbehinderung zu Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Rente in Anspruch nehmen können, haben keinen Anspruch auf Abfindung nach der vorstehenden Faktorenberechnung. Diese erhalten eine Abfindung i.H.v. EUR 10.000,00 brutto.

2. Mindestregelung

Da einzelne Mitarbeiter aufgrund eines geringen Monatsentgelts nur eine sehr geringe Abfindung nach der obenstehenden Formel erhalten würden, wird eine Mindestabfindung i.H.v. EUR 1.500,00 brutto an jeden Mitarbeiter ausgezahlt.

3. Rentennahe Jahrgänge

Bei Mitarbeitern, deren Geburtstag vor dem 1. Januar 1952 liegt, ist der Abfindungsbetrag abweichend von Absatz 1 (letzter Satz) wie folgt begrenzt:

Mitarbeiter, die nach einem Arbeitslosengeldbezug (ALG I) von bis zu maximal 12 Monaten die vorgezogene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit erstmals in Anspruch nehmen können, erhalten einen maximalen Abfindungsbetrag i.H.v. EUR 40.000,00 brutto.

...

5. Zusatzbetrag

Schwerbehinderte oder einem Schwerbehinderten Gleichgestellte im Sinne des Schwerbehindertengesetzes, die beim rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses schwerbehindert sind, erhalten einen Zuschlag zur Abfindung i.H.v. EUR 1.000,00 brutto.

7. Fälligkeit

Die Abfindung sowie die Zuschläge und Zusatzbeträge aus dem vorliegenden Sozialplan werden mit dem Ende des letzten Beschäftigungsmonats des Mitarbeiters zur Zahlung fällig."

Wegen des weiteren Inhalts des Sozialplans wird auf die als Anlage K 2 zur Klageschrift vom 12.07.2012 zur Akte gereichte Kopie verwiesen.

Bei Anwendung der in § 2 Ziff. 1 des Sozialplans vorgesehenen Faktorenberechnung hätte sich für den Kläger eine Sozialplanabfindung in...

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