Entscheidungsstichwort (Thema)

Diskriminierung wegen einer Behinderung durch Anknüpfung der Pauschalierung einer Sozialplanabfindung an die Rentenberechtigung aufgrund der Schwerbehinderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine (ausdrücklich) an die Rentenberechtigung aufgrund der Schwerbehinderung anknüpfende Pauschalierung der Sozialplanabfindung benachteiligt schwerbehinderte Beschäftigte unmittelbar (wie BAG 17.11.2015 - 1 AZR 938/13 -).

2. Von einer mittelbaren Benachteiligung schwerbehinderter Beschäftigter ist auszugehen, wenn die Pauschalierung ohne ausdrückliche Erwähnung der Schwerbehinderung an den "frühestmöglichen Renteneintritt" anknüpft - jedenfalls dann, wenn von dieser Regelung im Betrieb nur oder überwiegend schwerbehinderte Beschäftigte betroffen sind.

3. Die "Überbrückungsfunktion der Sozialplanabfindung" eignet sich nicht als Rechtfertigungsgrund für die mittelbare Diskriminierung, weil die Möglichkeit des früheren Renteneintritts gerade den Ausgleich der Nachteile für Behinderte bezweckt. Die Möglichkeit des früheren Renteneintritts ist damit kein objektiver Faktor im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (06.12.2012 - C-152/11), nach der eine gesetzliche Regelung zum Ausgleich von Nachteilen kein Grund für eine betriebliche Benachteiligung sein kann.

 

Normenkette

AGG §§ 1, 3, 7; BetrVG § 75; BGB § 611

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 17.01.2018; Aktenzeichen 9 Ca 5075/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 28.07.2020; Aktenzeichen 1 AZR 590/18)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 17.01.2018 - 9 Ca 5075/17 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 60.281,01 EUR brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2017.
    2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 1.156,97 EUR brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz

      aus 337,68 EUR brutto seit dem 02.10.2015 und

      aus 819,29 EUR seit dem 28.01.2016.

    3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  • II.

    Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

  • III.

    Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

  • IV.

    Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

  • V.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Zahlung einer Sozialplanabfindung und um eine mit der Berechnung der Zahlung möglicherweise im Zusammenhang stehende Schwerbehindertendiskriminierung. Des Weiteren streiten sie wie in einer Vielzahl von gleich gelagerten Fällen, über die Auslegung einer Betriebsvereinbarung.

Der Kläger ist am 06.07.1957 geboren und verheiratet. Seinen Kindern gegenüber ist er nicht mehr unterhaltspflichtig. Er ist schwerbehindert mit einem GdB von 50. Seit dem 25.02.1992 war er für die Beklagte tätig, zuletzt als Prozessprüfer QS. Hier erzielte er ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von 3.800,00 EUR. Kraft beiderseitiger Tarifbindung finden die Tarifverträge für die Chemische Industrie Nordrhein Anwendung. Die Beklagte hatte einen Betrieb in P , in dem der Kläger beschäftigt war. Inzwischen ist dieser Betrieb geschlossen.

Aufgrund von wirtschaftlichen Schwierigkeiten vereinbarte die Beklagte bereits am 05.11.2008 mit dem örtlichen Betriebsrat nach Zustimmung der Tarifvertragsparteien eine Betriebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung unter Bezugnahme auf die entsprechende tarifvertragliche Öffnungsklausel. Eine erneute Betriebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung schlossen die Betriebsparteien unter dem 26.02.2013. Diese Betriebsvereinbarung sieht unter anderem eine Arbeitszeitverlängerung von 37,5 auf 39,5 Stunden/Woche ohne Lohnausgleich vor. Darüber hinaus ist die Nutzung des Entgeltkorridors gemäß § 10 BETV Chemie in Verbindung mit dem Arbeitszeitkorridor nach § 2 Abschnitt 1 Ziffer 3 MTV Chemie ausdrücklich vorgesehen. Weiter ist bestimmt, dass Tariflohnerhöhungen teilweise ausgesetzt werden.

Die durch diese Betriebsvereinbarung vorgesehenen Effekte führten im Zeitraum vom 01.06.2015 bis zum 31.12.2015 zur Auszahlung eines Bruttoentgelts an den Kläger, das - rechnerisch unstreitig - um den Betrag des Klageantrages zu 2 reduziert war. Auszugsweise lautet die Betriebsvereinbarung wie folgt (Einzelheiten Bl. 139):

"Im Falle des Verkaufs des Betriebes bzw. einer Kündigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband Chemie Rheinland e.V. endet diese Vereinbarung fristlos mit sofortiger Wirkung."

Mit Schreiben vom 30.06.2015, zugegangen am gleichen Tag, erklärte die Beklagte gegenüber dem Arbeitgeberverband Chemie Rheinland e.V. die Kündigung ihrer Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband mit Wirkung zum 31.12.2015, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin. Auch nach der Kündigungserklärung zahlte die Beklagte an ihre Arbeitnehmer die Vergütung weiterhin lediglich auf Basis der durch die Betriebsvereinbarung vom 26.02.2013 gekürzten Ansprüche und stellte Arbeitszeiten in die Arbeitszeitkonten weiterhin unter der Annahme einer 39,5-Stunden-Woche ein. Damit war der Kläger...

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