Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlerhafte Sozialauswahl. Unzureichende Berücksichtigung von Unterhaltspflichten. Schonung eines weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmers. Verwendung eines Punkteschemas durch Gericht

 

Leitsatz (amtlich)

Nicht mehr "ausreichend" im Sinne von § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ist die Sozialauswahl dann, wenn der Arbeitgeber einen im Hinblick auf die vier gesetzlichen Auswahlkriterien deutlich weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmer verschont hat (hier unzureichende Berücksichtigung von Unterhaltspflichten).

 

Normenkette

KSchG §§ 1, 1 Abs. 1, § 2

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 24.05.2013; Aktenzeichen 1 Ca 9278/12)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 29.01.2015; Aktenzeichen 2 AZR 164/14)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers gegen das am 24.05.2013 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln - 1 Ca 9278/12 - werden zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Klägerzu 18 % und der Beklagten zu 82 % auferlegt.
  3. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung, vorläufige Weiterbeschäftigung und eine Bonuszahlung für das Geschäftsjahr 2011.

Der am 1972 geborene, verheiratete und zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.10.2006 als Sales Coordinator aufgrund des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 12.09.2006 (Bl. 7 ff. d. A.) gegen ein Gehalt in Höhe von zuletzt 3.287,08 € brutto monatlich tätig. Die Beklagte entwickelt und vertreibt interaktive Unterhaltungssoftware. Sie beschäftigt in ihrem Betrieb am Unternehmenssitz in K ca. 108 Arbeitnehmer.

Mit Schreiben vom 05.11.2012, dem Kläger zugegangen am 12.11.2012, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 28.02.2013 und bot zugleich ab dem 01.03.2013 eine Tätigkeit als Service Manager im Bereich Digitale Distribution von E M G mit einer vertraglichen Arbeitszeit von 10 Wochenstunden bei einer Verteilung dieser Wochenarbeitszeit auf zwei Wochentage (donnerstags und freitags) mit jeweils 5 Stunden und einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 848,28 € zu ansonsten unveränderten vertraglichen Bedingungen an.

Der Kläger hat das Änderungsangebot nicht angenommen und am 28.11.2012 Kündigungsschutzklage erhoben, die er am 17.01.2013 hinsichtlich der Zahlung einer Bonusvergütung für das Geschäftsjahr 2011 in Höhe von 5.009,52 € brutto erweitert hat.

Mit Urteil vom 24.05.2013 hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben, die Beklagte zur Zahlung des Bonus in Höhe von 5.009,42 € brutto nebst Zinsen verurteilt und die Klage auf vorläufige Weiterbeschäftigung abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beendigungskündigung sei wegen eines Verstoßes gegen die soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG unwirksam, weil die vergleichbare ledige Mitarbeiterin N S weniger schutzwürdig sei. Der Anspruch auf die Bonuszahlung folge aus der Zusatzvereinbarung der Parteien vom 28.05.2008 (Kop. Bl. 31 d.A.), weil zugrunde gelegt werden müsse, dass der Kläger die festgelegten Ziele erreicht habe. Dagegen sei der zu weit gefasste Beschäftigungsantrag unbegründet. Wegen der Einzelheiten der arbeitsgerichtlichen Entscheidungsgründe wird auf Blatt 118 ff. der Akten Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung macht die Beklagte vor allem geltend, sie habe bei der Auswahl des Klägers die Sozialkriterien ausreichend berücksichtigt. Der Kläger sei gegenüber der Mitarbeiterin N S , die eine deutlich längere Beschäftigungszeit aufweise, nicht schutzwürdiger. Auch der Bonus für das Jahr 2011 stehe dem Kläger nicht zu, weil er die Ziele "lösungsorientiertes und eigenverantwortliches Arbeiten anstelle eines isolierten Aufzeigens von Problemen", "Steigerung der Arbeitseffektivität" und "Einbringung sozialer Kompetenzen" verfehlt habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 24.05.2013 abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Im Wege der Anschlussberufung beantragt er,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 24.05.2013-1 Ca 9278/12 - teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den im Arbeitsvertrag vom 12.09.2006 geregelten Arbeitsbedingungen als Service Manager im Vertrieb bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger meint, sein Weiterbeschäftigungsbegehren sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts inhaltlich hinreichend bestimmt und nicht zu weit gefasst gewesen. Mit der Formulierung "zu den im Arbeitsverhältnis vom 12.09.2006 geregelten Arbeitsbedingungen" habe er das vertraglich geregelte erweiterte Direktionsrecht der Beklagten berücksichtigt. Im Übrigen verteidigt der Kläger das von der Beklagten angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts aus Rechtsgründen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitst...

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