Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung von Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst im Geltungsbereich des TV-Ärzte TdL

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Rechtsfolge einer tarifwidrigen Anordnung von Rufbereitschaft bei Ärzten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die angeordnete Rufbereitschaft eines Arztes ist nicht als Bereitschaftsdienst i.S. des TV-Ärzte TdL anzusehen, wenn der Arzt zwar verpflichtet ist, sich zur zeitnahen Arbeitsaufnahme zur Verfügung zu halten, er sich dabei aber nicht an einem bestimmten Ort aufhalten muss.

2. Gem. § 7 Abs. 6 TV-Ärzte TdL darf der Arbeitgeber eine Rufbereitschaft nur anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Dies ist bei einem Umfang der Heranziehung in einer Größenordnung von 50% nicht der Fall.

3. Jedoch folgt aus der tarifwidrigen Anordnung der Rufbereitschaft noch nicht deren Umdeutung in Bereitschaftsdienst im Tarifsinne.

4. Bei der Anordnung von Diensten, die weder die tariflichen Voraussetzungen einer Rufbereitschaft noch diejenigen eines Bereitschaftsdienstes erfüllen und für die eine tarifliche Regelung der Vergütung nicht besteht, ist die arbeitsvertraglich vereinbarte Vergütung die angemessene Vergütung i.S. von § 612 Abs. 2 BGB.

 

Normenkette

BGB § 612

 

Verfahrensgang

ArbG Bonn (Entscheidung vom 11.03.2019; Aktenzeichen 1 Ca 1885/18)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 25.03.2021; Aktenzeichen 6 AZR 264/20)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 11.03.2019 - 1 Ca 1885/18 - teilweise abgeändert und die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 37.028,56 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten aus 2.636,65 € brutto seit dem 01.11.2017, aus 4.132,22 € brutto seit dem 01.12.2017, aus 2.491,06 € brutto seit dem 01.01.2018, aus 1.720,94 € brutto seit dem 01.02.2018, aus 2.557,04 € brutto seit dem 01.03.2018, aus 2.779,44 € brutto seit dem 01.04.2018, aus 3.923,83 € brutto seit dem 01.05.2018, aus 4.447,96 € brutto seit dem 01.06.2018, aus 3.894,47 € brutto seit dem 01.07.2018, aus 3.028,60 € brutto seit dem 01.08.2018 und aus 5.416,35 € brutto seit dem 01.09.2018 zu zahlen.
  2. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
  3. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 8% und die Beklagte zu 92% zu tragen.
  4. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Für den Kläger wird die Revision nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Vergütung von als Rufbereitschaft angeordneten Diensten.

Der Kläger ist auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 29.07.1993 als Oberarzt an der beklagten Universitätsklinik, Medizinische Klinik I, Nephrologie, beschäftigt. Die Parteien gehen übereinstimmend von der Anwendbarkeit des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte/TdL) vom 30.06.2006 i.d.F. des Änderungstarifvertrags Nr. 6 vom 12.04.2017 aus.

Dieser enthält u.a. folgenden Regelungen:

"§ 7 Sonderformen der Arbeit

...

(4) Die Ärzte sind verpflichtet, sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen (Bereitschaftsdienst). Der Arbeitgeber darf Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt.

(6) Die Ärztin/Der Arzt hat sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen (Rufbereitschaft). Der Arbeitgeber darf Rufbereitschaft nur anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Rufbereitschaft wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass Ärzte vom Arbeitgeber mit einem Mobiltelefon oder einem vergleichbaren technischen Hilfsmittel ausgestattet sind. ...

§ 9 Ausgleich für Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst

(1) Für die Rufbereitschaft wird eine täglich Pauschale je Entgeltgruppe gezahlt. Für die Rufbereitschaft von mindestens zwölf Stunden wird für die Tage Montag bis Freitag das Zweifache, für Samstag, Sonntag sowie für Feiertage das Vierfache des tariflichen Stundenentgelts der jeweiligen Entgeltgruppe und Stufe (individuelles Stundenentgelt) gezahlt. ...

(2) Zur Berechnung des Entgelts wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit in zwei Stufen als Arbeitszeit gewertet. Ausschlaggebend sind die Arbeitsleistungen, die während des Bereitschaftsdienstes erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallen:

Bereitschaftsdienststufe

Arbeitsleistung innerhalb des Bereitschaftsdienstes

Bewertung als Arbeitszeit

I

0 bis zu 25 v. H.

60 v. H.

II

Mehr als 35 v. H. bis 49 v. H.

95 v. H.

§ 24 Berechnung und Auszahlung des Entgelts

(1) Bemessungszeitraum für das Tabellenentgelt und die sonstigen Entgeltbestandteile ist der Kalendermonat, soweit tarifvertraglich nicht ausdrücklich etwas Abweichendes geregelt ist. Die Zahlung erfolgt am letzten Tag des Monats (Zahltag) für den laufenden Kalendermonat ... Entgeltbestandteile, ...

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